Mueller und die Tote in der Limmat
wie grosse Teile des Warenangebots der Musikbranche. Und ‹HeHo› arbeiten natürlich für ihre eigene Altersschicht, vierzig plus, für Leute mit ähnlichem musikalischen Hintergrund: Rock, Singer-Songwriter, etwas Elektronik, ein Tupfer Rap. Die machen das erst ein paar Jahre, deshalb ist die stilistische Linie noch nicht so klar festgelegt. Anders gesagt: noch nicht festgefahren. Eigentlich ganz sympathisch.»
Schon wieder und immer wieder gefährliches Wort: «sympathisch».
Und der Müller: «Und das wirtschaftliche Gewicht von ‹HeHo›?»
Hauser: Formt mit Daumen und Zeigefinger arabische Ziffer «zero» und sagt: «Fast.»
Der Müller: «Und das kreative Gewicht?»
Hauser: «Schwer zu beurteilen. Wie misst man das? Ich weiss nicht recht, es wird sicher in der Branche wahrgenommen. Sie haben gute Presse, aber nur mit Sandra und ab und zu mit Spitfire Hitparade, das Radio ist musikalisch zu konservativ.»
Der Kaffee ist jetzt nicht mehr so heiss. Deshalb trinken sie einen Schluck.
Und der Müller stösst jetzt zum Kern vor, also zum Todesfall Sandra: «Wer könnte das getan haben?»
Hauser: «Keine Ahnung. Da ist doch so wenig Geld drin, dass niemand auf die Idee käme, aus finanziellen Gründen einen Mord zu vollbringen. Ich bin ratlos.»
Und der Müller denkt: Ich auch.
Aber er lässt sich nichts anmerken, weil vielleicht denkt er: a) Wir, die Polizei, ist stark und muss Bild so abgeben, und b) Aus Erfahrung wissen wir: Die Nebel werden sich lichten, und die Wahrheit wird obenaus triumphieren, und die goldene Sonne wird leuchten und das Verbrechen sterben und die böse Hand verdorren und die lügnerische Zunge absterben und ein Blitz vom Himmel fahren namens Paragraf, und er wird in den Übeltäter fahren, und dann eine Gefängnisstrafe so was von drakonisch. Und das Verbrechen wird laut jaulend seinen Griff um unsere Stadt Zürich lösen und lockern und sich verkrümeln müssen. Vollkommen im Futur. Denn wer etwas Böses tut, wird bestraft. Und wer nichts tut, wird nicht bestraft.
Und der Müller jetzt verbal: «Danke für den Kaffee, ich melde mich vermutlich wieder», und «danke für die Informationen.»
Und Hauser: «Keine Ursache, Müller.»
Weil ist innerlich schon etwas geehrt, dass er so wichtig, dass der Polizeimann (?) Expertenauskunft bei ihm anzapft.
Obwohl, da war der Müller Korrektheit in Person: Hat den Dienstausweis nicht gezeigt, weil, du weisst, nicht im Dienst, sondern beurlaubt, Waffengebrauch, Todesfolge … Und Michael Hauser schaut gerade komisch, weil der Müller wohl gerade bei diesem kurzen FLASHBACK seltsam geguckt hat.
«Tschüss», sagen beide, und trotzdem per Du, weil der Müller obwohl Polizei recht nett und jung geblieben und normale Sprache und keineswegs versucht, Jugendjargon oder Rock ’n’ Roll-Dialekt zu sprechen, sondern normal, und das kommt immer gut, so dem Müller seine Erfahrung. Deshalb das «Du», weil so etwas wie Vertrauensverhältnis aufbauen. Damit Resultate. Damit auch die Kultur nicht in Angst und Schrecken leben muss, weil vielleicht – nur Arbeitshypothese, aber in Ermangelung härterer Fakten oder auch nur stichhaltigerer Indizien – ein verrückter Kulturserienmörder umgeht und alle Rocksängerinnen, Bluesgitarristen, Musikjournalisten, Rockmanager, Plattenfirmen bedroht. Klar, ziemlich extreme Arbeitshypothese, weil erst ein Todesfall. Aber meistens kommt es noch schlimmer, wenn es einmal angefangen hat. Da kann so ein verrückter Kulturserienmörder eine ganze Lawine lostreten, metaphorisch und bildlich gesagt, und niemand wagt es mehr, die Gitarre in die Hand zu nehmen. Das wäre schon etwas schade fürs Königreich Rock ’n’ Roll und fürs wahre Leben, auch wenn nicht viel Geld im Spiel ist.
Weil das Leben, lautet des Müllers Überzeugung, muss gar nicht immer rentieren. Es gibt auch andere Werte, die wichtig sind, zum Beispiel das und jenes oder noch etwas anderes dort hinten. Es gibt viele Möglichkeiten.
Und mit diesen Gedanken im Kopf im Erdgeschoss von der Wohnung von Journalist Michael Hausers Wohnhaus angekommen. Und vielleicht denken Sie: Das waren aber sauviele Gedanken für einen Treppenhausaufenthalt von zwei Stockwerken, circa vierzig Sekunden. Aber vergiss nicht: Die Gedanken sind elektrische Ströme, und der Strom fliesst schnell in der Leitung herum. Darum denkt man im Kopf schnell, auch der Müller, und in wenigen Sekunden haben viele Gedanken Platz, sofern man sie nicht aufschreibt oder grafisch
Weitere Kostenlose Bücher