Mueller und die Tote in der Limmat
mit sehr vielen Gitarren und alten Röhrenverstärkern und viel Zorn und Wut und Schattenseiten von glorioser Erfolgsgeschichte der schweizerischen Welt. Aber ist nicht von gestern, darum auch Rap und Ultimativ-Electro. Trotzdem lassen Sie sich die Namen seiner Lieblingsgitarren auf der Zunge zergehen, weil die tönen, findet (nicht nur) Johnny, grossartig: Gibson und Fender Stratocaster und Fender Telecaster und Gretsch und und und. Da könnte einer zum Markenfetischisten werden, weil einem da gleich das Wasser im Mund. Aber egal, er besitzt keine davon, weil ist selbst kein guter Gitarrist und hat vor lauter Organisieren auch gar keine Zeit für Selbstmusik.
Hansueli Maurer, genannt Johnny, wegen seiner Tätowierungen, wo ein halbes Lexikon abendländischer Monsterologie abgebildet ist, von Grendel aus «Beowulf» über Golem und King Kong und Godzilla bis zu Drache von St. Georg – ist aber selbst kein Ungeheuer. Johnny hatte um die Jahrtausendwende als Spätgeborener und deshalb Spätberufener eine Punkrock-Zeit, deshalb auch ein tätowierter Union Jack, schön farbig, und aus Fernweh Seemannsmotive wie Meerjungfrau mit Oberweite, rostiger Anker, Schiff von Schwert durchstossen. Und als privates Motiv: Herz von Angelica drauftätowiert in allen Farben und sogar in Frakturschrift, was etwas retrobraun-gruselig ist: «Zürich». Andere haben ein Fotoalbum, andere haben die Bilder auf der Haut. Und Johnny hat auch wegen dem Rock ’n’ Roll, den er liebt, die Hautbilder, die gerne unter seinem zurückgekrempelten Karohemd lauern. Er hat auch eine raue, kratzige Stimme, wie sie Tom Waits und Reverend Beat-Man kultivieren, das mag vom Rauchen und Trinken kommen, und wirklich: Johnny ist etwas grau im Gesicht, sicher nicht ganz gesund (Leber? Niere? Vitaminmangel?) und dürr wie ein Schnapser und dunkle Ringe unter den Augen und wohnt in einem Altbau an der Ankerstrasse, gerade um die Ecke bei der Wohnung von Sandra. Aber die räumliche Nähe bedeutet nichts über private Nähe. Muss nichts bedeuten. Kann, aber kann auch nicht. Könnte Zufall sein. Aber Müller glaubt nicht an Zufall, denn: «Zufall hat System» (Platon).
Johnny ist durchaus bekannt in der Branche, nicht schlecht im Geschäft, im Rahmen der Möglichkeiten. Hat eine ganze Reihe von Bands unter Vertrag, die Zürichs Ruf in die Deutschschweiz, manchmal auch in die Westschweiz und ab und zu nach Deutschland tragen. Mit Spitfire sogar bis Skandinavien.
Auch Johnny ist wie Heeb/Holderegger und Hauser ein Wohnzimmerbüro. In Zürich sind eigentlich alle Kultürler Wohnzimmerbüros. Gut, vielleicht nicht alle, das Management von Udo Jürgens zum Beispiel nicht. Aber viele, aber macht nichts, ertragsschwache Branche, viel Arbeit, und Johnny ist ein lebender Beweis dafür, dass Rock ’n’ Roll ungesund beziehungsweise langes Aufbleiben und viel Trinken und viel Rauchen und lange nächtliche Autofahrten zum Beispiel nach St. Gallen, Freiburg, Luzern und viel schlimmer: Berner Oberland oder gar Wallis, alles sehr ungesund – und auch beschwerlich lange Fahrt nach Tschechien für Schwarzpressungs- und Piraterie-Ernte. Aber das wissen erst wir und der Müller noch nicht; das zehrt schon. Und Druck finanzieller Natur wegen seiner Ex Angelica und Jason-Lars und Kylie-Shawn. Deshalb sieht Johnny Maurer, obwohl kein Methusalem, sondern knapp Mitte 30, verwittert aus wie ein alter Schopf im Napfgebiet, wenn Sie wissen, was ich meine.
Und Johnny-Hansueli ist ausgesprochen wortkarg, fast stumm, sagt sehr wenig, jetzt, wo der Müller bei ihm im zweiten Stock an der Ankerstrasse soundso im Kreis 4 klingelt. Die Haustür unten war offen.
Aus der Wohnung ruft er laut: «Ist offen.»
Der Müller Beni also hinein. Der Korridor mit Lautsprechern und Verstärkern vollgestellt, zwei Mikrofonständer und einige Instrumentenkoffer. Ein Stapel gebündelte Zeitungen. An einem Garderobenhaken eine abgewetzte Lederjacke.
Müller auf eine offene Tür zu. Die Küche. Einbau aus den Sechzigern. Hellrot gemaserte Schränke, Chromspülbecken mit abgewaschenen Tellern auf dem Tropfbrett, drei, vier leere Bierflaschen auf den Steinboden gestellt. Am Küchentisch Johnny Maurer. Er hängt in seinem Karohemd schief auf seinem Stuhl, ein Räuchlein steigt auf. Er trinkt Kaffee – das tun offenbar alle hier, denkt der Müller – und hält sich den Kopf. Weil gestern Nacht ein Konzert mit der Rockmaschine in Luzern, obwohl Montag, trotzdem ausgesprochen volle Hütte, aber voll war auch
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