Mueller und die Tote in der Limmat
schwer, weil so ein Schlag in die Eierschalen ist nachhaltig. Aber ein böser Blick von dem Müller reicht, und der Kleiderschrank gibt jede mutmassliche Angriffsabsicht auf, gelähmt vom bösen Blick unseres tüchtigen (ehemaligen? Nur auf Zeit ehemaligen?) Polizeimanns. Der Kleiderschrank hebt wie nach einem Erleuchtungserlebnis die Hände zum Himmel, zeigt so dem Müller, dass er in den Handflächen keine Schlag- oder Schusswaffen verbirgt. Und sein Kopf versucht sich im Lächeln. Manche Menschen werden – erst einmal besiegt – zum folgsamen Hündchen. Haben sie ihren Meister gefunden, ordnen sie sich gerne unter und beziehen Befriedigung daraus, jemand wirklich Bedeutendem Gefolgschaft zu leisten. Das zeigt die Geschichte. Das zeigt auch der kugelköpfige Kleiderschrank mit den jetzt zwei lahmen Fäusten und entwaffneten Handflächen gegenüber dem Müller. Aber der Müller will das nicht, er hat den Schrötigen nicht nötig, und nötigen lässt er sich nicht vom Schrötigen. Jetzt aber genug Einblick in menschliche Psychologie. Zurück zur Strassenecke bei der Post 8036 Zürich-Wiedikon, da wo die Birmensdorferstrasse auf die Schimmelstrasse prallt, die sich dort in die Seebahnstrasse verwandelt.
«Geh», sagt der Müller zum Kleiderschrank. «Das nächste Mal mache ich Cheminéeholz aus dir.» Der Müller wird so einen schnell wiederfinden, wenn er ihn braucht.
Und der Kleiderschrank zischt ab, dankbar, dass das Jüngste Gericht noch einmal Zukunftsmusik geblieben ist. Und zu Sebastian sagt der Müller: «Ich glaube, wir haben etwas zu besprechen.» Sebastian bleibt stumm, sagt rein gar nichts. Selbst als Müller den Namen der Toten in der Limmat ins Spiel bringt, Sebastian schweigt. Plötzlich ist kaum mehr jemand zu Fuss unterwegs, weil der Ladenschluss vorbei, da stirbt diese Ecke sofort aus.
Und der Müller hat seinen Puls wieder etwas gesenkt, und der von Sebastian zeigt auch nach unten. Sie stehen noch da an der Ecke, das Tram 14 fährt vorbei, und sie schauen sich an. Beide verschwitzt, beide etwas neben den Schuhen, beide etwas durch den Wind.
Da sagt der Müller: «Komm, wir gehen ins Bahnhöfli. Dort reden wir.»
Sebastian zögert, dann sagt er: «Okay.»
Er schiebt das Rad über die Birmensdorferstrasse, der Müller, auch strassenverkehrsgesetzwidrig, überquert die Geleise und die Fahrbahn nicht auf dem Fussgängerstreifen. Vier Tischchen vor dem Bahnhöfli. Sie setzen sich an einen. Die Illusion: Im Freien gibt’s Luft.
Als sie sitzen, sagt Müller: «Erzähl mir alles über Sandra.»
«Was?», fragt Sebastian.
«Alles, tutti quanti», sagt der Müller.
Das dauert dann einige Zeit, bis er damit anfängt. Zuerst kommt das Bier durch einen Kellner, den beide nicht kennen. Es ist hell und kühl, die Schaumkrone gaukelt Gletscherfrische vor, und am Glas sitzen Kondenswassertröpfchen, die Erfrischung versprechen und halten.
Aber Sebastian spricht noch immer nicht.
Der Müller bietet die Friedenspfeife an: «Sorry, war falsch vorhin, war übertrieben, ich habe zu heiss, ich habe die Nerven verloren.»
«‹Sorry› ist alles, was du zu sagen hast? Du zerrst mich vom Velo runter und –»
«Also ‹runtergezerrt› habe ich dich nicht.» Müller in der Defensive.
«Aber an die Wand gedrückt und durchsucht. Ich meine –»
«Ja, pardon, das war falsch. Ich entschuldige mich», sagt der Müller Beni ziemlich förmlich und sogar ehrlich.
Da fährt wieder das Tram 14 vorbei, diesmal stadteinwärts.
«Und du könntest mir noch erklären, warum du das An-die-Wand-Drücken und Durchsuchen so gut drauf hast.» Jetzt bekommt Sebastian wirklich Oberwasser.
Jetzt ist es der Müller, der kurz, aber heftig schweigt. Ein Schluck Bier hilft, einige Sekunden zu gewinnen.
«Muss ich dir das wirklich erklären?», fragt er.
«Ich denke nicht. Aber dass du mir deinen Dienstausweis nicht unter die Nase gehalten hast, sagt einiges. Was hast du für ein Problem?»
Nun muss dem Müller noch ein Schluck Bier zu Hilfe eilen.
«Lassen wir’s dabei bewenden», schlägt er vor, «aber ich will alles über Sandra wissen. Ich will den Täter kriegen.»
Das ist nun wieder Denkstoff für Sebastian. Sie bestellen nochmals zwei Stangen. Sie kommen. Wieder locken die Schaumkrone und die verheissungsvollen Kondenswassertröpfchen aussen am Glas.
Müller lässt ihm noch etwas Bedenkzeit, nimmt den ersten Schluck. Das ist der beste. Und zündet sich eine an. Zieht sie tief hinunter. Und während er den Rauch
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