Mueller und die Tote in der Limmat
ich ihn nicht fragen», gibt der Müller etwas kleinlaut zu.
«Wie das?»
«Es war eine etwas konfuse Szenerie», sagt der Müller und erzählt. Vom kugelköpfigen Riesen mit den Windmühlenfäusten. Von Sebastian, der zufällig in diesem Moment auf dem Velo vorbeikam. Vom Gespräch am Tisch auf dem Trottoir vor dem Bahnhöfli Wiedikon. Und von der Frage, ob nicht Sebastian mit dem Todesfall etwas zu tun haben könnte. Worauf starke Reaktion.
Vom Musikjournalisten Michael Hauser an der Bertastrasse. Vom Wohnzimmer-Plattenfirmamann Holderegger.
Und der Boulevardzeitungsmusikchef Tobias F. Hubacher hat auch Witterung aufgenommen.
«Da wundert’s mich nicht, dass deine Zunge jetzt bis zum Boden hängt», sagt Bucher Manfred. «Du bist ja bei den heutigen vierunddreissig Grad ganz schön in der Gegend herumgerannt.»
«Hm, ja», sagt der Müller. Merkt jetzt, warum er so fertig ist und Konzentrationsschwierigkeiten.
«Hättest mich früher anrufen sollen. Alle Polizisten sind nicht auf Mallorca mit der Familie.»
Und er pult mit der Gabel noch eine Muschel leer.
«Aber ich kenne dich ja. Wenn du einmal gestartet bist –», und dann lacht er, weil dem Müller sein Spürhundinstinkt ist einfach unbremsbar.
Und dann spricht Manfred über die Ermittlungen. Kann auch nicht viel sagen. Sagt immerhin: Vermutlich morgen holt Bucher Manfred die Autopsie-Resultate bei Dr. Brenda Marquardt in ihrer pathologischen Schnetzelstube ab. «Das sind ja schöne Aussichten, gell», sagt der Müller.
Dann wird man den Todeszeitpunkt wissen, die inneren Verletzungen und den Mageninhalt und all das, was klinisch wichtig ist und wissenschaftlich nützen kann.
Etwas sagt der Bucher Manfred schon zwischen zweiundzwanzig Bissen, nämlich welches Dispositiv die Polizei schon aufgezogen, das Routine-Rollout bei Tötungsdelikten, Spurensicherung, Befragungen der Badegäste im Flussbad Oberer Letten, Suche nach Sandras Verwandten, noch niemanden aufgespürt. Wie immer. Aber noch nichts Heisses. Manfred hat kein Geheimnis vor dem Müller, weil sind ja Kollegen, nicht Exkollegen, also keine Amtsgeheimnisverletzung, weil Manfred und der Müller beide mit gültigem Amtseid vor neunzehn Jahren zu Zeiten des himmeltraurig reaktionären Polizeichefs. Nein, falsche Chronologie: Der himmeltraurig Reaktionäre war vorher. Jedenfalls: Sie plaudern und sprechen und diskutieren und denken beide und sagen es schliesslich auch, im Chor, wie nur bei gut synchronisierten Menschen möglich:
«Die Spur führt ins Musikgeschäft.»
Genaueres wissen sie noch nicht, ist mehr eine irgendwie instinktive Sache, ein intuitives Feeling, «ein innerliches Bauchgefühl», wie man sagt. Geht so vor sich: Es kribbelt in den Fingerspitzen, und dann weiss der gute Polizist mit seinem Riecher: Da ist etwas im Busch, da müssen wir mal draufklopfen – aber nicht dass Sie das jetzt als Aufforderung zur beziehungsweise Billigung von Gewalt gegen Pflanzen verstehen, war nur metaphorisch gesagt. Die beiden alten Polizeifreunde diskutieren und wollen vom Baum der Erkenntnis essen. Aber die Früchte sind noch nicht reif.
Und so vergeht der Abend wie im Fluge. Obwohl, wie vergeht ein Abend im Fluge? Beide wissen leider jetzt nicht mehr, obwohl sie mit ihrem Wissen nicht hinter dem Berg gehalten und ihr Licht nicht unter den Scheffel gestellt haben.
Die Hammerfrage stellt Bucher Manfred: «Bist du zufrieden, wie du jetzt lebst?»
«Hä?», fragt der Müller zurück.
«Seit wie vielen Wochen bist du krankgeschrieben? Sechs? Acht?»
Er wartet die Antwort nicht ab.
«Willst du nicht wieder einsteigen? Richtig Dienst machen? Im Team? Allein drehst du doch durch –», und weil er sieht, wie der Müller aufgewühlt guckt und ihm ein glühender Dolch das Herz durchbohrt, fügt er hinzu: «… vor allem bei der Hitze.»
Der Müller tupft Olivenöl von Manfreds Teller. «Ich überleg’s mir, Mamfi. Ich überleg’s mir.»
Sicher ist: Vermutlich morgen holt Bucher Manfred die Autopsie-Resultate bei Dr. Brenda Marquardt in ihrer Schnetzelstube. Na dann, «zahlen!», gehen, «morgen Telefon», «mach’s gut, träum schön», «gute Nacht.»
***
Ein kleiner Exkurs über Geografie. Ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse. Polizeimann Müller Benedikt war auch schon weg von Zürich, auch in Afrika. Was soll man dazu sagen? Es ist heiss in Afrika und weit weg. Und Rimini in Italien hat er auch schon gesehen und die Tate Modern, wo viel Kunst drin hängt, und er war auch sogar schon
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