Mueller und die Tote in der Limmat
Müller muss sich einen Ruck geben. Fragt:
«Und du selbst? Könntest du’s tun?»
Da steht Sebastian auf, steigt auf sein Velo und fährt wortlos davon. Da war der Müller jetzt sicher nicht der Geschickteste aller Ermittler. Die Reaktion des offenbar künftigen Musikagenten, der jetzt ab und zu den Band-Minibus fährt, scheint schlüssig. Die Kollegen werden das alles nachprüfen. Haben mehr Manpower als der Müller solo. Bleibt der Müller also allein am Tischchen vor dem Bahnhöfli Wiedikon, winkt schon dem Kellner, wedelt mit der Zwanzigernote. Das reicht heute nur noch knapp für vier Stangen.
Und jetzt ist es an der Zeit, Bucher Manfred anzurufen, den alten Freund seit der Polizeischule mit gemeinsamen gastronomischen Interessen und auch Kunsthaus Zürich und Kino. Mobiltelefon, Freundschaftsdienst, immer viel gesprochen miteinander und Dienst zusammen und immer nett gewesen zueinander, und gestern Nachmittag bei Sandrafund unter dem Holzsonnendeck treibend im Flussbad Oberer Letten mit der ersten Patrouille eingetroffen. Die Frage stellt sich jetzt: Was weiss Manfred? Kann er es dem krankgeschriebenen Kollegen Müller sagen?
Das Klingeln stirbt ab, und Manfred sagt mit vollem Mund: «Hallo, Beni.»
Weil sein Telefon das andere Telefon kennt.
«Hallo, Manfred.»
«Wollen wir uns kurz treffen, etwas zusammen essen?», sagt Manfred, «ich sitze schon im Restaurant.»
Nun gut, bei Weitem kein weltbewegender Dialog. Aber manchmal spricht der Mensch nur zur Kontaktherstellung. Das ist linguistisch und eben recht prosaisch. Und die Kontaktnahme ist geglückt.
Ergo sie treffen sich im «Krokodil» an der Langstrasse, gutes spanisches Restaurant, der Müller und der Polizeimann Bucher Manfred, genannt Mamfi oder gar – spöttisch – Mampfi, weil er ein grosser Freund und Liebhaber aller Kalorien ist, der «Koloss von Aussersihl», der «Elefant vom Sihlfeld», wie ihn die Polizei und das Milieu auch nennen. Er zählt 110 Kilogramm Lebendgewicht auf 187 Zentimeter. Ein Prachtexemplar. Angesichts der Restaurants in der Stadt Zürich kann man diesen Body-Mass-Index gut verstehen, denn hier können Sie jeden Tag etwas anderes essen, was du willst: Italienisch, Spanisch, Thailändisch, Mexikanisch, Indisch, Französisch, Tessinerisch und von der ganzen Welt etwas, auch Zürcher Spezialitäten natürlich, da bekommst du schon Hunger, wenn du an diese Ländernamen denkst. Das gibt es alles bei uns. Jedes Land hat nämlich seine leckere Küche, und alles ist immer wieder ein bisschen anders. Die da nehmen mehr Kartoffeln, andere mehr Koriander, dort essen sie mehr Lamm, Mangos kommen in der Karibik gerne zum Einsatz, während der Spanier gerne spät isst. Das nur so als Vorgeschmack und Appetitanreger. Aber heute Abend eben Spanisch, weil im «Krokodil», und ist dem Manfred sein Lieblingsrestaurant.
Er ist schon bei den Muscheln, und Müller bestellt auch Ossobuco milanese. Gibt auch Italienisch im «Krokodil», weil das Mittelmeer rundherum sehr lecker ist. Und das «Krokodil» ist günstig und gut und eine Art von schlichtem Ambiente ohne die Stil-Irrtümer der letzten Jahrzehnte. Einfach Tische und Stühle und weisse Tischtücher, und Öl, Essig, Pfeffer und Salz auf dem Tisch. Ganz einfach. Aber von der sympathischen Atmosphäre darf sich der Polizeimann nicht verleiten lassen. Ein unbestechlicher Blick ist vonnöten. Keine Sorge, weil keine Gefahr: Wir sprechen hier fast die ganze Zeit vom Müller, er lässt sich selten täuschen. Gut, vorhin mit Sebastian, war ziemlich stark überreagiert, deshalb auch Sorry, Pardon und Verzeihung. Sie kennen den Müller Beni mittlerweile ein bisschen und wissen: Zwar ist mit ihm gut Kirschen essen, aber nicht Pferde stehlen wegen illegal. Aber Freunde sind Freunde, dafür sind sie da, und auf Müller und Manfred kann man gegenseitig zählen.
Und dieses Gespräch dient dem Informationsaustausch. Müller berichtet Bucher Manfred, dass er Rockmanager Johnny Maurer von der Ankerstrasse befragt hat, der Sandra am Samstagabend circa dreiundzwanzig Uhr dreissig in der Roten Fabrik letztmals gesehen hat. Sagt er. Und dass er gerade vorhin Sebastian Fuhrer befragt hat, der vor sechs Jahren mit Sandra fast etwas gehabt hätte, aber keine hard feelings zurückgeblieben, sondern weiterhin, sagte der Befragte, mindestens musikbezogener Dialog der beiden. Und Sebastian offenbar dabei, sich im Musikgeschäft zu betätigen.
«Wann Sebastian die Tote das letzte Mal gesehen hat, konnte
Weitere Kostenlose Bücher