Mueller und die Tote in der Limmat
knackt. Er schweigt, als bedaure er, schon etwas verraten zu haben. «Denn Reden ist Silber, Schweigen ist Gold» (Duclos-Lassalle und andere). Aber für den Müller ist es natürlich viel besser, wenn er sofort oder mindestens bald redet, damit die harte Tour nicht nötig wird. Die kann Müller natürlich auch, hat er im Repertoire. Aber Müller Beni mit seiner Geschichte, seinem Trauma, will eine Kollision mit der Ethik vermeiden. Deshalb lieber weiche Tour fahren, weil ja auch beurlaubt, und: unbewaffnet, und allein ermittelnd.
Mittlerweile bevölkert wirklich viel Personal diese Geschichte, richtig verwirrlich. Wo weitermachen? Nun, uns mag es so richtig vertrackt und kompliziert vorkommen. Unlösbare Hindernisse mögen uns den Weg zum erhellenden Sonnenstrahl verstellen wie der Berg dem Tal das Licht. Im ewigen Dunkel mögen wir uns wähnen. Aber nicht der Müller. Darum ist er die Hauptfigur, weil er eben diese bekannten Fähigkeiten hat und die Erfahrung von neunzehn Jahren Abteilung Gewaltverbrechen. Also kein Grund zur Unruhe: Das Böse unterliegt hoffentlich, sagt die Bibel, sagt der Koran, sagt Ian Rankin, sagt Georges Simenon, sagt Ed McBain. Viele sagen das Gegenteil, aber der Müller nicht. Staatspolitisch nötig, dass der Müller richtigliegt. Der Müller weiss: Ich gehe jetzt aus dieser Küche, lasse Johnny mit dem Abwasch zurück und dem Aufkehren, und ich mache sofort woanders weiter. Tempo ist Trumpf. Vielleicht kommt so wieder Bewegung in Johnny und auch in den Fall.
Also los und die Treppe hinunter und irgendwie Zufall, aber Müller und Zufall, das gibt es nicht. Vielmehr irgendwie Schicksal: Da kommt im Erdgeschoss gerade Boulevardzeitungsmusikchef Tobias F. Hubacher zur Haustür herein. Drittes Kreuzen der Wege von dem Müller und Tobias F. Hubacher in so kurzer Zeit, also gestern und heute. Und Tobias F. Hubacher ist viel beschäftigt, sieht man auf den ersten Blick. An der Fracht in seinen Händen: Mobiltelefon oder elektronische Agenda oder Schwarzebeere, ein Laptop und ein Aufnahmegerät und ein Block. Und im Ohr ein Hörer mit Musik und eine Sonnenbrille. Ebenso schütteres Haar wie Müller, aber Tobias F. Hubacher ist aufmerksam genug, dass auch er merkt: drittes Kreuzen der Wege von ihm und wahnsinnig frisch und dynamisch aussehendem Mittvierziger mit federndem Schritt und entschlossenem Gesicht und hellem Polohemd bei dieser Tropenhitze und sogar aus der Nähe nur wenig Falten, obwohl rares Haar wie er, aber unter dem Polo zwei, drei Muskeln ahnbar, nicht so schwächlich. Wir wissen: der Müller ist’s. Aber Tobias F. Hubacher weiss das natürlich nicht. Und so bleiben beide stehen, Neugier gross, einander gegenüber, nicht Lauerstellung, nicht Panther feindselig und hungrig vor dem Sprung, doch merkt man: In den Köpfen geht etwas vor, das Hirn arbeitet.
Und der Müller, raffiniert: «Herr Hubacher.»
Und Tobias F. Hubacher etwas geschmeichelt, weil dieser Unbekannte ihn kennt. Aber das will nichts heissen, weil viele ihn kennen. Alle in der Medien- und Musikbranche und die Fernsehzuschauer. Und wer ihn nicht kennt, will ihn persönlich kennenlernen. Deshalb Musikzeitungsboulevardchef Tobias F. Hubacher entblösst eine blitzende Zahnreihe wie die Politikerkaste und sagt sonor:
«Jaaah? Dich kenne ich gar nicht, du bist keiner von meinen üblichen Leutchen.»
Und der Müller antwortet knapp «Müller» und fragt ohne Pause dazwischen direkt: «Was tun Sie hier, Herr Hubacher?»
«Ich bin der Toby», sagt Tobias F. Hubacher.
Und Händeschütteln. Aber der Müller sagt nicht: «Und ich der Beni.»
Und Tobias F. Hubacher tut die Frage von Müller gar nicht so ekelhaft obstruktiv ab mit einem «freies Land, und ich tue, was ich will, und niemandem Rechenschaft schuldig»-Sprüchlein, sondern zeigt sich kooperativ und freundlich. Und so kommt es im Erdgeschoss von Ankerstrasse soundso, welche Rockmanager Johnny Maurer bewohnt, gleich neben den aufgestemmten Briefkästen, weil das ist der Kreis 4 seinem Ruf schuldig, zu einem lebhaften Gespräch. Ein Wort gibt das andere und ein drittes, und dem Müller seine Weisheit über Sympathie und Antipathie ist wieder ein ernsthafter Faktor dabei. Weil auf den ersten Blick ist Toby nicht so sehr einnehmend, weil viele Negativfaktoren: Solarium und Sonnenbrille und elektronischer Schnickschnack vom Scheitel bis zur Sohle, zudem der breiteste Zürcher Dialekt, also «he nei», was eher wie eine knarrende Tür klingt, «oderr». Auch der zweite
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