Muenchen Blues
rutschte auf den Bettrand.
– Gossec, du bist ein Wüstling. Bin ich nicht genug im Arsch? Musst du jetzt auch noch auf mich eintreten?
Seine Augen schimmerten feucht. Er tat mir leid. Trotzdem! Ich packte den Briefstapel und warf ihn auf sein Bett.
– Durchgucken! Rechnungen wenigstens nach einem halben Jahr bezahlen.
Jetzt fiel mir auf einem Briefumschlag ein Logo auf, das ich schon mal gesehen hatte. Global Real Estate . Hirschböck hatte eine Einladung von ihnen gehabt. Eine Immobilienfirma. Ein Verdacht stieg in mir auf.
– Julius, absolut Klartext: Überweist du eigentlich noch Miete?
Julius sah mich unendlich traurig an.
– Schau her, du glaubst mir ja sonst sowieso nicht.
Er holte alle Überweisungen auf seinen Bildschirm, die er getätigt hatte. Jeden Monat ging die Miete ab. Gott sei Dank!
Dieser Zusammenstoß war vor zwei Wochen gewesen. Als ich nun zu ihm unterwegs war, um meinen Ferienplan vorzutragen, war mir klar, dass ich diesmal ganz diplomatisch und feinfühlig sein musste. Er war zurzeit in einer prekären Situation: so gut wie arbeitslos, ständig bekifft, dazu jahreszeitbedingt schwer depressiv. Ich sagte ihm, dass ich ein Haus am Meer mieten wolle und Platz genug hätte. Und dass ich mich freuen würde, wenn er das Flugticket finanziell im Kreuz hätte und mitkäme.
Mein Vorschlag war ein Volltreffer. Julius stand auf, zog seine Boxershorts bis unter den Bauchnabel und schlüpfte in seine Tageshose. Dann checkten wir gemeinsam alle Webcams in Sizilien, samt einschlägiger Wetterprognosen, buchten ein Häuschen bei Cefalú und zwei Flugtickets nach Palermo.
Eine Woche später gaben wir uns zu nachtschlafender Zeit große Mühe, den Erdinger Großflughafen als lässige Abenteurer zu bewältigen. Julius trug geflochtene Ledermokassins ohne Socken, eine zerknitterte Leinenhose und hatte einen Armeesack geschultert. Ich gab wie immer in den Ferien den Großstadtcowboy, einen Neil Young im Vorstadium der Verwitterung, und führte aus meiner Antiquitätenkollektion einen Krokokoffer an der Hand, der Zsazsa Gabor Entzückensschreie entlockt hätte. Von präsenilem Reisefieber getrieben, waren wir viel zu früh, weswegen wir uns noch ein ausgiebiges Weißbierfrühstück gönnten. Dann schnürten wir pfeilgerade in den Billigflieger.
6
Drinnen fiel es mir plötzlich wieder ein. Wir hatten unsere Sitze nach hinten gestellt und waren beide kurz davor einzunicken. Aber in diesem Halbdämmerzustand wird die Abteilung Verdrängtes und Vergessenes in einem gern aktiv.
– Global Real Estate, fragte ich. Warum kriegst du von denen Post?
– Schreiben mir oft.
Julius gähnte und riss dabei den Mund so weit auf, dass die Kiefergelenke knackten.
– Aber Reklame schmeiße ich weg. Ich brauche keine Eigentumswohnung.
Dann schliefen wir eine Runde. Man verpasst ja nichts mehr, die Zeiten von Gratisalkoholika und -verpflegung sind vorbei. Auch die Stewardessen tragen keine Kostüme mehr aus feinem Tuch, sondern sehen in ihrem Polyesterwams wie Thekenmädels der nächstgelegenen Burgerbraterei aus. Und die Geldbörsen und Uhren der Airline-Edition würden es ihrer eingebauten Hinfälligkeit wegen nie bis zur Antiquität schaffen.
Als wir in Palermo den Flieger über die Gangway verließen und italienischen Boden betraten, wussten wir sofort, dass wir hier richtig waren. Die Sonne brannte herunter wie in alten Zeiten. Wir genehmigten uns einen doppelten Espresso an der Bar und fuhren mit dem Bus nach Cefalú. Des Gepäcks wegen stiegen wir dort in ein Taxi.
Versucht der Nordmann einer tiefen Gemütsbewegung stimmlichen Ausdruck zu geben, gründelt er im Bassbereich. In Deutschland regiert die baritonale Mittellage. Jenseits derAlpen beginnt der Tenor. So gesehen, bildet Sizilien das andere Extrem dieser Skala. Nicht einmal ein junger Hund hätte »Gente di mare« in solcher Höhenlage winseln können, die unser Fahrer mühelos erklomm.
Das Haus lag tatsächlich am Meer. Es stimmte also, dass die Mafia durchgegriffen hatte, um dem Touristen ein gutes Gefühl zu verschaffen. Und der hat es nicht gern, wenn man ihn übers Ohr haut und ihm Beutel oder Täschchen klaut. Über eine Treppe erreichte man den Strand. Zwar standen ringsherum jede Menge Ferienhäuser, die in Sizilien wie Schuhschachteln aussehen, aber wir waren weit und breit die einzigen Gäste. Mit einer gemieteten Vespa waren unsere Versorgungsprobleme schnell gelöst, und wir hatten ausreichend Wein, Öl, Nudeln, Chili und Knoblauch
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