Muenchen Blues
daran schuld zu sein. Diese Hilflosigkeit bereitete mir geradezu körperliche Schmerzen.
– Los jetzt!
Zwicklhuber war ein jovialer Edelbayer. Sein Dialekt kam so breitmäulig und volksnah herüber, als trüge jedes einzelne Wort ein Lodenhütchen. Da sei alles mit rechten Dingen zugegangen. Eine Räumungsklage sei zugestellt worden. Bärnbichl habe versichert, die Wohnung sei offen und bis auf Sperrmüll praktisch leer gewesen. Außerdem habe man schnell reagieren müssen, denn die Mietsache sei verschimmelt und voller Ungeziefer gewesen. Wenn Julius das anders sehe, müsse man die ganze Geschichte eben ausstreiten. Dafür sei er ja da.
Julius legte auf.
– Hast du eine Räumungsklage bekommen?, schrie ich ihn an.
Mit zusammengebissenen Zähnen schüttelte er den Kopf. Er merkte sofort, dass ich das nicht glaubte.
– Na servus, Opfer!
Das war mir so herausgerutscht. Neulich waren mir zwei Hängehosen begegnet, irgendwelche einheimischen Harrys oder Börnis, die ganztägig als Stimmenimitatoren in Türkendeutsch unterwegs sind. Die begrüßten sich so.
Julius sah aus, als würde er gleich kollabieren. Dann weinte er. Ich konnte es nicht mehr mit ansehen und machte uns ein Kännchen Espresso.
– Aus, fertig. Ich bin ruiniert, sagte Julius.
Auf mein Nachfragen hin stellte sich jedoch heraus, dass Julius’ Restgeschäft über Server abgewickelt wurde, die bei »Munich Internet« sicher verwahrt in einem Metallschrank standen. Dort seien sie näher am Backbone, meinte er. Das leuchtete sogar einem technischen Laien wie mir ein. Worum es also ging, war, Julius einen Rechner zu verschaffen, damit er seinen Server wieder ansteuern konnte. Und eine Telefonleitung. Dazu einen Raum, in dem er arbeiten konnte. Kurz: Es ging darum, ihn wieder in ein normales Leben zurückzuhieven.
Bestens erholt war ich hier angekommen. Das Restjahr hätte ich gut mit der Vorbereitung auf Weihnachten rumgekriegt. Und nun musste ich meine ganze Kraft in die Unterstützung dieses abgestürzten Menschen pulvern, ein Opfer, dem außer Tränen nichts zu seinem Elend einfiel. In einer Woche war Martinstag. Wie gut, dass mir das noch einfiel, denn auch Sankt Martin hatte ein Schwert gebraucht, um seinen Mantel teilen zu können. Ich holte aus der Schublade meiner Theke den Totschläger, denn damit ließ sich die Unzugänglichkeit, die ich aus Bärnbichls Stimme herausgehört hatte, sicher ausgleichen.
– Du übernimmst hier den Laden, klar?
– Und du?
– Ich knöpf mir dieses Arschloch von Bärnbichl vor.
8
Für Bärnbichls Firma war der Ratzinger Platz als Adresse angegeben. Das Beste, was sich über diesen Standort sagen lässt, ist, dass er verkehrsgünstig gelegen ist. Hier donnert man stadtauswärts mehrspurig Richtung Autobahn Starnberg/Garmisch, die ehemalige Reichsmusterstraße, die heute immer noch Olympiastraße heißt, in Erinnerung an die Spiele in Garmisch-Partenkirchen und eine Zeit, in der solche Großstraßen locker durch die Stadt geholzt werden konnten. Mit unserem Heiligen Vater hat dieser Platz nur so viel zu tun, als Bayern schon immer reich an Ratzingers gewesen ist. Trotzdem hat sicher auch dieser zufällige Namensgleichklang die Überlegungen motiviert, Münchens hässlichsten Platz so herzurichten, dass ihn auch ein Heiliger Vater in seinem Papamobil passieren könnte, beispielsweise nach einem Besuch der nahe gelegenen Siemenswerke. Den Weg über den Ratzinger Platz in die Innenstadt würde auch ein alter Münchner Taxifahrer als nicht verkehrt bezeichnen, zumal der Papst dann zwanglos über die Plinganser- und Lindwurmstraße auf den Dom zuhalten könnte. Allerdings sollte er besser tagsüber über seinen Platz fahren, denn nachts brennen im nahe gelegenen Gewerbegebiet zu viele rote Lampen.
Ich gondelte in meinem alten Mercedesbus dorthin, denn in dieser Gegend findet man sogar mit Traktor samt Hänger einen Parkplatz. Allerdings lief ich dann zweimal an Bärnbichls graurußigem Laden vorbei. Das trübe Schaufenster war mit Sportpokalen, Urkunden und imposanten Medaillen aus Goldbronze dekoriert. Bei einer Entmietungsfirma erwartet man anderes. Als ich mir die Trophäensammlung genauer anschaute, wurde mir klar, dass dieser Marketingschachzug doch nicht so abwegig war, wie es schien: Adolf Bärnbichl war jahrzehntelang als Mongolen-Adi unterwegs gewesen und hatte im Catchen seine Gegner reihenweise auf Rummelplatzbretter gehauen.
Da hatte ich mich ja auf eine harte Nummer eingelassen. Ich fasste an
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