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Muenchen - eine Stadt in Biographien

Muenchen - eine Stadt in Biographien

Titel: Muenchen - eine Stadt in Biographien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Sperr
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Aktion, der den Zensor in Fragen der Freigabe von Stücken beraten sollte, aber häufig von der Polizei überstimmt wurde. Gymnasialdirektoren, Professoren und Studienräte gehörten ihm an, aber auch Autoren wie Thomas Mann und Max Halbe. Der wütende Wedekind dichtete:
    »Die Zensur wählt einen Beirat,
    Und der Beirat rät genau.
    Wie in einer Musterheirat
    Die normale Ehefrau.

    Dreimal Ja auf alle Fragen,
    Wie der Zensor sie bespricht.
    Nein darf nur der Zensor sagen,
    Für den Beirat gibt’s das nicht.

    Und zu solchen Narrenspossen,
    Aller Menschenwürde bar,
    Bieten heut sich unverdrossen
    Lauter Ehrenmänner dar.«
    Als »Frühlings Erwachen« endlich aufgeführt wurde, schrieb das »Neue Münchner Tageblatt«: »Wenn ein unheilbarer Patient in Eglfing so was schreibt, so hat man Mitleid mit ihm oder setzt ihn ins Dauerbad. Vielleicht lässt sich auch Herr Wedekind einmal von einem tüchtigen Psychiater untersuchen. Denn irgendwo muss da entschieden eine Schraube locker sein.« Thomas Mann verließ das Gremium, der Beirat blieb und verhinderte noch manches Stück des umstrittenen Dichters.
    Immer im Visier von Spießbürgern und Obrigkeit. War es Neid oder geiles Schaudern? Die verklemmten wilhelminischen Duckmäuser konnten an einem Autor wie Wedekind ihr Mütchen kühlen. Oder heimlich die Lenden beben lassen. Er war ihnen ständige Provokation. Für ein Spottgedicht auf Kaiser Wilhelm  II . wanderte er ins Gefängnis und später auf die Festung Königstein. Für sein Stück »Die Büchse der Pandora« (Uraufführung 1904 in Nürnberg) musste er zwei Prozesse wegen »Verbreitung unzüchtiger Schriften« erdulden. Gespielt wurde es bis 1905 genau dreimal, jedes Mal in geschlossener Veranstaltung. Vor einer Lesung aus seinem Stück »Schloss Wetterstein« ließ die Polizei Plakate entfernen und verlangte eine Liste der Personen, die Eintrittskarten gekauft hatten. Seine Lesung aus »Franziska« im Münchner Hotel Vier Jahreszeiten entfesselte einen Skandal. Sein Stück »Simson«, uraufgeführt 1914 in Berlin, durfte in München nicht gespielt werden. Dabei waren Wedekinds »unanständige«, »anrüchige« und »sexuell abartige« Dramen nicht selten Hilferufe einer gequälten Kreatur.
    Benjamin Franklin Wedekind – so sein ursprünglicher Name, sein Vater hatte 15  Jahre in Amerika gelebt – wuchs auf Schloss Lenzburg im Schweizer Kanton Aargau auf, das sein Vater aus einer Laune heraus gekauft hatte. Es war ihm Kinderparadies und Gefängnis zugleich. Der Vater bestand auf einem Jurastudium, dafür kam Wedekind 1884 erstmals nach München. Aber nicht den Hörsaal besuchte er, sondern Münchner Theater, jeden Abend, Monat für Monat. Und statt zu studieren, saß er viel im
Café Luitpold
10 ( ▶ E 4 ) , noch heute ein beliebter Treffpunkt, mit Säulenhalle, Innenhof, Restaurant und Bar.
    Dort schrieb er Theaterstücke, für die sich niemand interessierte. Als der Vater Examensresultate sehen wollte, kam es zum Bruch. Um sich finanziell über Wasser zu halten, schrieb Wedekind Reklameverse für die Firma Maggi in Zürich. Nach dem Tod des Vaters ging er erneut nach München. Er gab sich locker und weltoffenen, kleidete sich stets korrekt, manchmal dandyhaft, spielte Gitarre, sang gewagte, schaurige und traurige Lieder, die er selbst gedichtet und vertont hatte, und stritt sich nächtelang mit Kollegen. War er im Raum, hatten andere es schwer, sich zu behaupten.
    Wedekind provozierte gezielt durch obszöne Bemerkungen. Mit seiner bulligen Statur und seinen feinen und strengen Gesichtszügen war er eine auffällige Erscheinung. Er schaute den Frauen in den Ausschnitt und fragte in aller Öffentlichkeit, ob sie noch Jungfrau seien. Im Bordell war er Stammgast. Den dort arbeitenden Damen begegnete er mit ausnehmender Höflichkeit und großem Respekt. »Greife wacker nach der Sünde«, sang Wedekind. Er griff danach – und litt an ihr.
    Bei aller lustvollen Spötterei, bei allem Haudegengehabe – Zeitgenossen beschreiben ihn als einen unsicheren, gequälten Menschen, zerrissen zwischen der eigenen, tief im 19 . Jahrhundert verhafteten Bürgerlichkeit, geprägt von einem krankhaften Pünktlichkeits- und Ordnungsfanatismus und dem Traum von grenzenloser sexueller Freiheit und immerwährender Potenz. Er, der nicht müde wurde, in Liedern und Gedichten die ganz große sexuelle Emanzipation zu fordern und in seinen Dramen die Probleme der Sexualität schonungslos ansprach, war gebeutelt vom ewigen

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