Muenchen - eine Stadt in Biographien
der junge Mann näher, zieht stumm seinen Revolver, schießt. Von hinten. Durch Kopf und Rücken. Der Politiker sinkt zu Boden, er ist sofort tot. Er liegt auf dem Pflaster. Wie er da liegt, zeigt die 70 Jahre später in den Gehsteig eingelassene Gedenkplatte 8 ( ▶ E 5 ) von Erika Maria Lankes am Tatort, in der heutigen Kardinal-Faulhaber-Straße. Die Leibwächter schießen sofort zurück, auch der junge Mann geht zu Boden, schwer verletzt. Er kommt ins Krankenhaus, wird von dem berühmten Dr. Ernst Ferdinand Sauerbruch operiert und überlebt.
Der Mörder,
Anton Graf von Arco auf Valley,
ist Student. Er kommt aus gutem Hause, mütterlicherseits aus der jüdischen Bankiersfamilie Oppenheim, doch er bewegt sich in Kreisen, in denen einer wie er besonders dann Ansehen gewinnen kann, wenn er seine Vaterlandsliebe unter Beweis stellt. Nicht durch Reden, besser durch Taten. Außerdem ist er Leutnant im Königlich Bayerischen Infanterie-Leib-Regiment, dort denkt und handelt man völkisch-nationalistisch. Der eine Makel, nämlich dass er Jude ist, passt nicht zu den Idealen des jungen, schneidigen Grafen.
In jenen Januartagen lässt Graf Arco den Kopf hängen. Er ist frustriert und persönlich getroffen, denn man hat ihn, der alles daran gibt, ein sauberer, völkisch gesinnter Jurist zu werden, aus der »Thule Gesellschaft«, der Keimzelle der späteren NSDAP , ausgeschlossen. Weil er Jude ist. Um so mehr glaubt er unter Beweis stellen zu müssen, dass er glühender Antisemit ist und dazu ein hundertfünfzigprozentiger deutscher Nationalist. Vielleicht ist das der wahre Grund, warum er den in rechten Kreisen verhassten Ministerpräsidenten, der ebenfalls Jude ist, erschießen muss. Was für ein groteskes Verbrechen!
Viele rechtschaffene Münchner Bürger waren mit der Mordtat ausgesprochen einverstanden. Auch und allen voran die bayerische Justiz. Aus leidenschaftlichem Patriotismus habe der junge Graf gehandelt, überhitzt, im jugendlichen Sturm und Drang. Strafrechtlich drückte man alle Augen zu: Zuerst wurde die Todesstrafe in eine langjährige Haftstrafe, dann in wenige Jahre Haft unter feudalen Bedingungen in der eigens für ihn eingerichteten Festung Landsberg umgewandelt.
EIN KOMPROMISSLOSER FRIEDENSPOLITIKER
Warum nur zog der hagere Mann mit dem Vollbart, den fein geschnittenen Gesichtszügen, dem konzentrierten Blick so viel Hass auf sich? Dieser intellektuelle, philosophisch gebildete und charismatische Kurt Eisner, der sich nicht in die Schublade des schöngeistigen Theaterkritikers, des Feuilletonisten stecken lassen wollte, sondern sich auf die politische Bühne wagte, um für Gerechtigkeit zu kämpfen. Oder wollte man ihn nicht, weil er aus Berlin kam und man in München der Meinung war, dass er hier nicht her passte? Oder ganz einfach weil er Jude war? Wegen seines bohemienhaften Äußeren? Weil er auf Gewaltlosigkeit beharrte und trotzdem die Revolution anführte? Weil er, der Pazifist, die Arbeiter der Rüstungsindustrie in den Streik führte? Oder wurde er bekämpft, weil er eine Ausnahme unter den deutschen Politikern war, einer, der die Kultur, die Philosophie und Poesie mit der Politik zusammenbrachte und zusammendachte? Oder weil er Friedenspolitiker war, sich mit aller Kraft für die Beendigung des verheerenden Ersten Weltkriegs eingesetzt hatte, und zwar mit dem Eingeständnis, die Deutschen allein hätten diese Katastrophe vom Zaun gebrochen?
Schon äußerlich signalisierte er das Gegenprogramm zu jeglicher Militärschneidigkeit, aber Trachtenjoppe und Haferlschuhe lehnte er ebenso ab, auch wenn es ihm vielleicht ein paar Stimmen mehr eingebracht hätte. Mit seinem breitkrempigen schwarzen Hut und dem Zwicker auf der schmalen Nase, machte er erst gar nicht den Versuch, sich dem Münchnerischen anzubiedern. Das hatte er nicht nötig, er war Schwabinger Literat. Und das war gut so!
Eisner stammte aus Berlin. Als junger Schriftsteller und Journalist arbeitete er zunächst für die »Frankfurter Zeitung«, wechselte im Jahr 1898 , auf Betreiben des Chefredakteurs Wilhelm Liebknecht, zur SPD -Zeitung »Vorwärts«. Sieben Jahre blieb er, doch nach nicht enden wollenden, nervenaufreibenden Revisionismusstreitereien kündigte er. Er war unzufrieden, beruflich und privat. Er wollte neu anfangen, weg von Berlin. Dass er seine Frau mit den fünf Kindern in Berlin zurückließ, wirft einen Schatten auf seine private Biographie. Drei Jahre später zog er mit seiner Mitarbeiterin und Geliebten,
Else
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