Muenchen - eine Stadt in Biographien
Belli,
nach München.
Der Erste Weltkrieg brach aus, und Eisner wandelte sich vom vorsichtigen zum radikalen Pazifisten. Im Gasthaus Goldener Anker in der Schillerstraße 34 – nicht weit vom Hauptbahnhof – gründete er einen Diskussionskreis, also auf gut bayerisch: einen Stammtisch. Heute befindet sich hier ein arabisches Kebab-Lokal, passend zur lebhaften internationalen Umgebung mit den orientalischen Supermärkten, Schmuckgeschäften, Cafés und Import-/Export-Läden – von was auch immer. Ohne dieses exotische Viertel wäre München keine Weltstadt.
Die Unzufriedenheit über die mickrigen Lebensmittelrationen wuchs zusehends. Alles Geld wurde in den Krieg gesteckt. Kraft und Lebenszuversicht in der Bevölkerung schwanden. Als Anführer des Januarstreiks 1918 wurde Kurt Eisner den Münchner Bürgern und den bürgerlichen Politikern allmählich gefährlich. Er wurde verhaftet, was allerdings seine Popularität unter den Arbeitern erst richtig anheizte.
Auf der großen Friedensdemonstration auf der
Theresienwiese
34 ( ▶ A 7 ) , die mit fast 200 000 Teilnehmern alle Erwartungen übertraf, wurde eine Resolution angenommen, die Folgendes forderte: Abdankung des Kaisers, Annahme der alliierten Waffenstillstandbestimmungen, Demokratisierung Deutschlands und Einführung des Achtstundentags. Eisner, aus der U-Haft entlassen, zog mit den Anhängern der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ( USPD ) zu den Kasernen, mit dem Schlachtruf: »Soldaten! Auf in die Kasernen! Befreien wir unsere Kameraden! Es lebe die Revolution!«
Noch am selben Abend, am 7 . November 1918 , konstituierten sich im Mathäserbräu die Arbeiter- und Soldatenräte, endlich, gegen Mitternacht, kam es dann zur offiziellen Gründung des Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrats. Ein Frauenrat und ein »Rat der geistigen Arbeiter« folgten bald nach. Die Revolutionsregierung war etabliert, die Monarchie besiegt. Für König Ludwig III . wurde es ungemütlich, er floh aufs Schloss Anif bei Salzburg. Eisner war der Mann der Stunde, Bayern hatte einen neuen, ungewöhnlichen Ministerpräsidenten, einen Sozialisten, der davon träumte, Marx mit Kant zu versöhnen: »Die revolutionäre Regierung des Volksstaates Bayern ist zu dem großen Versuch entschlossen, die Umwandlung des alten Elends in die neue Zeit in vollkommener verbürgter Freiheit und in sittlicher Achtung vor den menschlichen Empfindungen durchzuführen …«
Es ist nicht leicht, den Münchner Spuren von Kurt Eisner zu folgen. Der alte Mathäser existiert nicht mehr. Einst hatte die Bierstadt im Herzen der City drei Hallen, einen Biergarten, einen Festsaal und einen Weißbierkeller. Mit einer Kapazität von 5000 Gästen war der Mathäser zeitweise der größte Bierausschank der Welt. 1998 wurde er abgerissen, an seiner Stelle entstand ein Multiplex-Kino mit 14 Vorführungssälen. Bei Premieren laufen Stars und Sternchen hier über den roten Teppich. Schwer zu glauben, dass gerade hier die Räterepublik ausgerufen wurde.
ER STAND IM KREUZFEUER DER PRESSE
Das Regieren wurde Kurt Eisner nicht leicht gemacht. Er, dem das Durchsetzen von Pressefreiheit so sehr am Herzen lag, wurde bald von dieser Presse fertiggemacht, er stand im Kreuzfeuer zwischen bürgerlichen, sozialdemokratischen und kommunistischen Zeitungen. Den einen als Anführer der Räteherrschaft unheimlich und viel zu links, den anderen zu lasch und realitätsfern, den Dritten zu bürgerlich. Und dass er jüdischer Abstammung war, passte vielen schon gar nicht. Bald stand er mit dem Rücken zur Wand, kämpfte an allen Fronten gleichzeitig. Auf seine USPD war kein Verlass, sie war miserabel organisiert, eine für den Erfolg dringend nötige Öffentlichkeitsarbeit fand nicht statt. Die Landtagswahlen vom 12 . Januar präsentierten dann die Rechnung: eine vernichtende Niederlage. Und weil er Demokrat war, fügte er sich und verfasste unverzüglich seine Rücktrittserklärung. Er kam nicht mehr dazu, sie zu verlesen.
Bis heute tun sich die Münchner schwer mit »ihrem« Eisner. Die Ironie des Schicksals oder die Taktlosigkeit der Stadträte wollte es, dass die Straße, in der Eisner ermordet wurde, ausgerechnet nach jenem Michael Kardinal von Faulhaber benannt wurde, der 1922 auf dem Katholikentag von Kurt Eisner behauptete, er stehe für Meineid und Hochverrat.
Das Grab auf dem Münchner Ostfriedhof wurde 1933 von den Nazis ausgeräumt und neu belegt. An Eisner erinnert dort heute ein Gedenkstein.
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