Muenchen - eine Stadt in Biographien
eröffneten
Simplicissimus,
dem späteren
Alten Simpl
3 ( ▶ F 1 ) in der Türkenstraße. Ganze Tage verbrachte man im
Café Luitpold
10 ( ▶ E 4 ) , auch weil dort geheizt wurde. Fanny veröffentlichte erste Texte, übersetzte für den Albert Langen Verlag Maupassant und Zola aus dem Französischen, denn sie beherrschte diese Sprache vorzüglich. Auch in Zeitschriften wie dem »Simplicissimus«, dem »Schwabinger Beobachter« oder der »Frankfurter Zeitung« konnte sie gelegentlich etwas unterbringen. Vor allem aber schrieb sie Tagebuch. Kümmernisse und Nöte, Glücksmomente und Alltagsstrapazen verstand sie amüsant und berührend aufzufächern.
Sie fand nichts dabei, sich mit Männern einzulassen, mit mehreren zugleich, arbeitete sogar im Bordell, denn die Geldsorgen drückten immer mehr. Doch sie war angekommen in einem selbstbestimmten Leben – dachte sie zumindest. Keiner mehr, der ihr vorhielt, was sie zu tun oder zu lassen hatte. Mit vollem Überschwang und der Lust an Freiheit betäubte man sich, damit die Strapazen des Alltags nicht überhand nahmen. Ein Leben in Extremen: ganz oder gar nicht, himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt, bloß keine Mittelmäßigkeit, bloß nicht lauwarm.
Am 1 . September 1897 wurde ihr Sohn
Rolf
geboren. Auf die Frage, wer wohl der Vater sei, antwortet sie: »Mein Sohn braucht keinen Vater.« Sie wollte das Kind allein durchbringen und den Namen des Vaters nicht preisgeben – eine dreiste Kühnheit. Ihrem »Bubi« würde es an nichts fehlen, vor allem nicht an Liebe, Herzenswärme und Zuwendung, alles, was ihr in Kindertagen abgegangen war. Sie schob den Kinderwagen durch den
Englischen Garten,
machte Rast auf der schattigen Bank unter der Kastanie, freute sich über das Gezwitscher der Spatzen, lag glücklich mit ihrem Kind auf der großen Wiese am
Kleinhesseloher See.
Endlich Ruhe, keine Gedanken an das würgende Thema Geld und wie man dazu kommt.
Im Herbst 1903 gründete Franziska zu Reventlow eine Wohngemeinschaft im Eckhaus in der
Kaulbachstraße 63 .
Es war die Realisierung ihres Traums von einem modernen Leben, eine Frau mit einem Kind und zwei Männern. Das gab es in dieser offen gelebten Form noch nicht. Rolf Reventlow wird in seinem »Kaleidoskop des Lebens« später schreiben: »In Schwabing wohnten wir nun in einem alten Häuschen … in einer Art Wohnkollektiv, Mutter, ihr Freund Such und der Schriftsteller Franz Hessel. Das Häuschen … hatte einen total verwahrlosten Garten, einen leeren Schuppen, viele ungenützte Zimmer, ein Atelier, das Mutter mit Beschlag belegt hatte, und eine seltsam angelegte Wohnküche mit Veranda, die eine Art Gemeinschaftsraum darstellte und in der Such für alle zu kochen pflegte.« Die »ménage à trois« dauerte knapp drei Jahre.
Man wohnt in enger Nachbarschaft mit echten und selbsternannten Größen der Geisteswelt jener Zeit: Stefan George, Karl Wolfskehl, Ludwig Klages, Erich Mühsam, Paul Stern. George wohnt ums Eck, in der Leopoldstraße 51 . Als sein Adlatus, Manfred Schuler, ein römisches Fest inszeniert und im Kerzenlicht pathetisch aus Georges Fragmenten liest, wendet dieser sich ab: »Das ist Wahnsinn! Ich ertrage es nicht … Führen Sie mich fort: führen Sie mich in ein Wirtshaus, wo biedere Bürger, wo ganz gewöhnliche Menschen Zigarren rauchen und Bier trinken!«
Manchmal wurde es sogar den Bohemiens mit der Boheme zu viel. Man saß in den Cafés herum, diskutierte und schrieb, nur wer Geld hatte oder wer jemanden kannte, der Geld hatte, konnte sich betrinken, die anderen sahen zu, dass ihr eines Bier nicht alle wurde. Zeiten waren das, deren Schilderung heute dem autochthonen Schwabinger die Tränen in die Augen treibt; muss er doch mit ansehen, wie sein Viertel unaufhaltsam der weit um sich greifenden kommerziellen Spießigkeit anheim fällt.
Wenn das Leben in der Stadt lästig zu werden drohte, verzog sich die junge Mutter mit ihrem Kind zu den Malweibern ins Dachauer Moos, nach Schäftlarn oder Lenggries. Reisen nach Italien, Griechenland und Frankreich brachten ihr nicht die Ruhe, nach der sie sich inzwischen immer öfter sehnte. In Italien gebar sie Zwillinge, das eine Kind kam tot zu Welt, das andere starb zwei Tage darauf. Von diesem seelischen und körperlichen Desaster erholte sie sich, wenn überhaupt, nur langsam. Es war nicht mehr viel übrig geblieben von dem wüsten, ausufernden Leben. Immer häufiger wurde sie krank, musste wochenlang das Bett hüten. Die Grenze der
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