Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muenchen - eine Stadt in Biographien

Muenchen - eine Stadt in Biographien

Titel: Muenchen - eine Stadt in Biographien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Sperr
Vom Netzwerk:
Jüdin
Mirjam Sachs,
mit der er seit 1919 zusammengelebt hatte, zu heiraten. Er arbeitete als Lektor und Dramaturg am Arbeitertheater »Die neue Bühne«, dann kam der unerwartete literarische Erfolg mit dem autobiographischen Roman »Wir sind Gefangene«. Doch blieb er, trotz des finanziellen Polsters, das er sich inzwischen mit Romanen, Erzählungen und Geschichten erschrieben hatte, trotz seiner traditionell altbayerischen Art, sich zu kleiden, eindeutig ein Linker. Ein Sozialist. Ein Anarchist. Stur und zuverlässig bis ans Lebensende.
    Der charismatische
Erich Mühsam
war ihm vielleicht sogar Leitfigur geworden, obwohl so einer wie Graf eigentlich keine Leitfigur brauchte. Sein tiefes Misstrauen gegen alles, was von oben geregelt wird, gegen Institutionen und Obrigkeiten überhaupt, verbunden mit der sturköpfigen Beharrlichkeit und dem Mut, sich querzustellen, ist im echten Bayern tief verwurzelt. Die vielen Ausnahmen bestätigen die Regel.
    Ob er sich heute in der
Brasserie OskarMaria
9 im
Münchner Literaturhaus
20 ( ▶ E 4 ) in einer Runde von Bankern, Unternehmensberatern und Schickimickis so richtig heimisch gefühlt hätte? Vielleicht hätten ihn die Sentenzen aus seinem Werk auf dem Grund der Suppenteller und die schnell laufende Leuchtschrift-Installation der US -Künstlerin Jenny Holzer an der Bar verwirrt. Tochter
Annemarie
jedenfalls hat sich zu ihren Lebzeiten gegen diese Art der Ehrung ihres Vaters gewehrt.
    Es wurde ungemütlich in München, die Nazis machten sich breit. 1933 wurde ein hoher Stapel Literatur auf dem Königsplatz verbrannt. Alles, was Rang und Namen hatte und nicht in die verhetzten Köpfe der Banausen passte, wurde angezündet. Oskar Maria Grafs Werke waren nicht dabei. Das war für ihn die größte Schande seines Lebens. Ohrfeige und Kinnhaken zugleich. In der Wiener »Arbeiter-Zeitung« machte er seinem Ärger Luft: »Verbrennt mich! Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbande gelangen. Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach!«
    Aus einem Missverständnis heraus wurden seine Romane und Geschichten zunächst von den Nazis sogar noch propagiert, man mystifizierte das Bayerische als ländlich, bäuerlich, als »Blut und Boden«. Den Graf hatten sie offenbar nicht richtig gelesen und wenn, dann nichts verstanden. Zu seiner Ehrenrettung, wie er selbst sie verstand, wurde die Verbrennung ein Jahr später im Innenhof der Münchner Universität nachgeholt und seine Werke endlich in Deutschland verboten. Über Wien und Brünn emigrierte er 1938 nach New York.
    MIT DER LEDERHOSE DURCH NEW YORK
    Wie viele andere deutsche Schriftsteller konnte er dort kaum publizieren, mit dem Englischen tat er sich schwer, ein kümmerliches Leben in der Fremde. Das Einzige, was er mitnehmen konnte, waren seine Erinnerungen an die Heimat, seine Sehnsucht nach dem Starnberger See – und die Lederhose. Er trug sie wie ein Messgewand durch New York, sommers wie winters, vielleicht war sie eine seiner versteckten Sentimentalitäten.
    Zurückgekehrt ist Oskar Maria Graf nur viermal – und nur zu Besuch. Auch im Exil kämpfte er für das Bayerische, von protzigem Nationalismus und kitschigem Provinzialismus befreit, politisch links und sehr stolz, urwüchsig im besten Sinne des Wortes:
    »Für Nichteinheimische bedeutet ›bayrisch‹ ja fast immer so etwas wie ein herzerfrischendes Hinterwäldlertum auf Bauernart, eine mit dickem Zuckerguss sentimentaler Verlogenheit reizend garnierte Gebirgsjodler-Idylle, ein schlicht-inniges bier-katholisches Analphabetentum als Volkscharakter und im besten Falle eine bäuerliche pfiffige Gaudiangelegenheit. Rundherum gesagt also: etwas entwaffnend Einfältiges, über das jeder Mensch eben wirklich nur noch lachen kann. Dafür sorgten meine Vorgänger bis hinauf zu Ludwig Thoma reichlich, und das Unappetitliche dabei ist: Während sich zum Beispiel die Juden mit vollem Recht und in natürlicher Selbstverständlichkeit ganz entschieden gegen jeden Antisemitismus wehren, reagieren wir geschäftstüchtigen, animalisch gefallsüchtigen Bayern gegen den von uns selbst geschaffenen Antibavarismus völlig entgegengesetzt. Wir hegen und pflegen, hätscheln und steigern ihn, damit uns nur ja die ganze Welt als ein Volk

Weitere Kostenlose Bücher