Muenchen - eine Stadt in Biographien
er sitzt auf dem Rondell, um das der Bus herumfährt, Richtung Münsing oder Richtung Starnberg. Die Kinder toben auf der Wiese herum, Hunde heben ihr Bein, gestresste Mütter mit vollen Einkaufstaschen steigen in ihre Luxuspanzer, eine Alte legt ihm einen Strauß Margeriten zu Füßen. Der Blick geht hinunter zum See, hinüber zu den Alpen, zur scharfen Kante der Zugspitze. Idyllisch ist es hier, im Voralpenland. Oskar Maria Graf hat diese Landschaft in seinen Romanen beschrieben, innig, melancholisch und bar jeder Tümelei. Vielleicht sitzt er aber auch auf seinem Koffer, weil er aus dem Exil in seine Heimat zurückreisen will, wenn es so weit ist. Wenn es politisch so ist, dass er wieder hier sein kann. Ist es so weit?
Die Mutter,
Therese,
war eine Bauerntochter, der Vater
Max
Bäckermeister. Oskar lernte Bäcker und arbeitete nach der Schule in der Bäckerei des Vaters, in der heute ein kleines Gasthaus untergebracht ist, das
Oskar-Maria-Graf-Stüberl.
Dichter und Schriftsteller wollte er werden, raus aus der Bäckerei, keine Ohrfeigen mehr vom gewalttätigen Bruder, der den elterlichen Betrieb autoritär weiterführte. Also riss er aus und tauchte in München, in den Kreisen der Boheme, unter.
Mit seinem Freund, dem Maler
Georg Schrimpf,
reiste er in Norditalien herum, die beiden landeten in der Künstlerkolonie Monte Verità am Lago Maggiore, wo man ihren Einsatz für Erdarbeiten in Anspruch nahm, es aber nichts Gescheites zu essen gab, sodass sie wieder nach Hause reisten, um sich vor den Körnerfressern in Sicherheit zu bringen. Oskar schlug sich durch als Gelegenheitsarbeiter, Posthelfer, Liftboy. Im Ersten Weltkrieg diente er bei einer Eisenbahntruppe an der Ostfront in Litauen, da schrieb er schon Erzählungen. 1916 sollte er wegen Befehlsverweigerung verurteilt werden, landete stattdessen in der Irrenanstalt und wurde schließlich aus dem Militärdienst entlassen.
SEINE SPRACHE IST DERB, UNGEHOBELT UND KLAR
Zurück in München geriet Oskar Graf in eine Gesellschaft von Dichtern, Musikern und Malern, die politisch dachten, über Politik diskutierten und vor allem an
Kurt Eisners
Lippen hingen. Graf wohnte in der
Barer Straße,
ein paar Schritte nur entfernt von
Rainer Maria Rilke,
in dessen Atelier sich die Schwabinger Linke traf, »aktive Revolutionäre wie Toller, wie der Kommunist Kurella mit seinem jungen Kreis, … Schriftsteller und bürgerliche Männer, die es aufrichtig mit der Revolution meinten« .
Man saß in Kneipen um die
Türken
- und
Amalienstraße
herum, im legendären
Schelling-Salon
27 ( ▶ E 1 ) in der Schellingstraße, wo man heute noch Billard spielt, kam auf Tuchfühlung mit Schiebern und heruntergekommenen Adeligen, trank mit Arbeitslosen und Ladenbesitzern Bier und wetterte gegen die Obrigkeit. Oskar Graf sah früh ein, dass die einfachen Leute und Gestrandeten sie nicht wirklich akzeptierten, die linken Aktivisten, Edelkommunisten und bunten Vögel aus Schwabing. Dann wurde Eisner ermordet, und der Traum von einer besseren Welt platzte.
Angesichts der brutalen Zerschlagung der Räterepublik wurde der Bohemien Graf ein politischer Mensch. Er hatte großen Respekt vor den einfachen Leuten, ihren Ängsten und Sorgen in unsicheren Zeiten. Den Krieg hatten sich die anderen ausgedacht, nicht die kleinen Leute, die ihn ausbaden mussten und die mit letzter Kraft für ein kleines Glück kämpften. Graf war sehr aktiv in der revolutionären Bewegung, wurde verhaftet, frei gelassen – und stürzte sich ins Schreiben.
Seine Geschichten handeln von den Menschen, die er beobachtet, mit denen er täglich umgeht. Aus jeder Zeile spricht seine bayerische Seele, die Sprache ist schnörkellos, ungehobelt, oft derb und spröd. Lion Feuchtwanger, der gebürtige Münchner, der Autor von »Erfolg«, des bissigsten Romans über die marode Moral von Münchner Kommunalpolitikern, schrieb: »Die oberbayerischen Menschen kenne ich sehr genau, und ich weiß also, wie sehr Oskar Maria Graf zu ihnen gehört, wie typisch seine Form ihrem Inhalt entspricht … Was er hinschreibt, steht da, klar und fest wie die bayerischen Berge unter dem bayerischen Himmel.«
Auf Anraten eines Freundes fügte der Autor Graf seinem Namen einen zweiten, Maria, hinzu. Er heiratete, wurde Vater einer Tochter, aber seine Ehe war, wie er sagte, schlecht, von Anfang an, weshalb er sich bereits im Jahr nach der Hochzeit wieder von seiner Frau trennte. Dennoch ließ er sich erst 27 Jahre später scheiden, um in den USA die
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