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Muenchen - eine Stadt in Biographien

Muenchen - eine Stadt in Biographien

Titel: Muenchen - eine Stadt in Biographien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Sperr
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spöttisch und poetisch liebevoll. Und noch ein Widerspruch, der für ihn typisch war: Er liebte die kleinen, unscheinbaren Leute, schrieb über die einsamen Männer auf den Bänken der öffentlichen Anlagen, gleichzeitig aber hatte er eine Schwäche fürs Glamouröse, für Stenze und Aufschneider. Von den Reichen und Erfolgreichen fühlte er sich magisch angezogen. Beides, nämlich Anwalt der kleinen Leute zu sein und gleichermaßen scharf auf die Nähe zu den »Großkopferten« und ihren Bräuten, das geht in München. Die ganze Stadt bis hinaus zu ihren Rändern hat er umarmt, das verlangte schon die journalistische Sorgfalt: »Ich seh’ alles vor mir, ich schreib’ eigentlich bloß ab, was ich seh’. Die Gefühlseindrücke vermehren sich, ich sehe heute vieles, was ich früher net gesehen habe. Mit der Zeit bin ich wie ein großer Radarschirm geworden, der die kleinsten Wellen auffängt … So lustig, wie ich’s schreib’, is’ das Leben in Wirklichkeit net … Ich bin aber net traurig von Natur aus, sondern ein bisserl melancholisch.«
    Der Sigi liebte die Menschen, besonders die Frauen. Sie standen unter seiner ständigen Beobachtung. Und als bekennender, fundamentalistischer Macho ließ er auch schreiberisch während der arg bürgerlichen Zeiten die Sau raus. Wenn es um die sekundären Geschlechtsmerkmale der Damen auf der Maximilianstraße ging, stand ihm ein ganzes Arsenal an Sprach- und Begriffsschöpfungen zur Verfügung, »Max und Moritz«, oder die »zwei guten Kameraden«, oder es war »die Maus, die unter dem engen Top ein Fäusterl macht«. Mit solchen Formulierungen stellte er nicht nur emanzipierte Münchnerinnen auf eine harte Probe, sondern auch die literarischen Geschmackspäpste. Sommers Texte waren weniger harmlos, als sie zunächst schienen, immer wieder ließen sie trotz aller machohaften Anzüglichkeiten Ernst und Erkenntnis aufblitzen. Seinen 1954 erschienenen Roman »Und keiner weint mir nach«, in den viele Kindheitserinnerungen eingegangen sind, hat Bertolt Brecht als den besten bezeichnet, der nach dem Krieg in Deutschland geschrieben wurde.
    Keine einfache Kindheit: Sohn eines Münchner Möbelrestaurators, nach der Geburt weggegeben, erst mit sechs Jahren zurück zum Vater und dessen neuer Frau. Aufgewachsen im Stadtteil
Sendling,
dort, wo München auch heute noch am wenigsten geschleckt ist. Gegenüber der alten Sendlinger Kirche gab es noch lange Zeit den letzten bewirtschafteten Bauernhof der Stadt, in den letzten drei Jahrzehnten wurde der Stemmerhof mehr und mehr zu einem Biomarkt mit Veranstaltungsprogramm umgewandelt.
    Nach der Schule begann er eine Lehre als Elektrotechniker. Dann Soldat in Frankreich und Russland, Verwundung und Entlassung. Er heiratete, wurde Vater der zweiten, diesmal ehelichen Tochter und veröffentlichte seine erste Geschichte in der »Süddeutschen Zeitung«. Ein halbes Jahr nach Kriegsende ist die »Süddeutsche« in direkter Nachfolge der »Münchner Neuesten Nachrichten« gegründet worden, erschien aber anfänglich wegen Papiermangels in einer schmalen, nur vier Seiten umfassenden Ausgabe, dreimal in der Woche. Sommer war dem damaligen Chefredakteur
Werner Friedmann
aufgefallen, der hatte ein gutes Gespür und veranlasste, dass hin und wieder etwas in der Zeitung erschien, was jenseits der »Bekanntmachungen zum Überleben« lag, etwas fürs Überleben der Seele. »Lokalspitzen« hießen die kleinen Glossen in der SZ , erste schüchterne Versuche nach dem Krieg, in einer Zeitung ab und zu für ein kleines Lesevergnügen zu sorgen. Am 16 . Juni 1948 gründete Werner Friedmann die Münchner »Abendzeitung«, das erste Boulevardblatt der Stadt, zunächst als Straßenverkaufszeitung mit liberaler Grundhaltung.
    Sowohl die »Süddeutsche Zeitung« als auch die »Abendzeitung« wurden im Verlauf der zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts zu erfolgreichen deutschen Tageszeitungen. Die SZ intellektueller Impulsgeber, die AZ linksliberaler, kulturlastiger Boulevard. In München war Platz für beide. Das Neue war: Auch Intellektuelle lasen täglich und ganz selbstverständlich das Boulevardblatt, allein schon wegen seines lebendigen Feuilletons. Die beiden Flaggschiffe der politischen SZ -Reportage,
Hans Ulrich Kempski
und später
Herbert Riehl-Heyse,
setzten Maßstäbe für Generationen ehrgeiziger Journalisten in ganz Deutschland. Ihr Reportagestil war intellektuell, klug und gebildet, nie professoral dozierend, dafür unterhaltsam, witzig, süffig,

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