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Muenchen - eine Stadt in Biographien

Muenchen - eine Stadt in Biographien

Titel: Muenchen - eine Stadt in Biographien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Sperr
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werden entknotet, die Arme entschränkt, die Finger enthakelt, Kopf und Hals und Knie zurück, dort hin, wo sie hingehören.
    ER HAT DAS ABGENAGTE GEZEIGT
    Seinen Körper hat er wie ein Instrument genutzt, die Tonart, die Tempi, laut, leise, Crescendo und Tremolo, nichts dem Zufall überlassen, und doch: Vieles sei, heißt es, spontan und aus dem Stegreif gespielt worden. Mit seinem Körper brachte er die Menschen zum Lachen, ein verzweifeltes, ein befreiendes Lachen. Es steigt aus dem Chaos in der Seele herauf. Das Gegenteil von Chaos ist Orientierung, danach hat er gesucht, nach Anhaltspunkten zur Orientierung in Raum und Zeit. Haltegriffe fürs Leben, doch in der traurigen Gewissheit, dass es die letzten Endes nicht gibt.
    »Beim Valentin wird sichtbar, wie die Existenz am Menschen nagt. Dieses Abgenagte, das hat er gezeigt« , sagt der Münchner Künstler Herbert Achternbusch. Der begegnet Valentin fast täglich bei seinen Streifzügen über den Viktualienmarkt. Da steht sie, die windschiefe Figur mit Hut und Schirm auf dem Brunnen 17 ( ▶ E 6 ) . Die Standlfrauen legen ihm täglich frische Blumen in die Armbeuge. Und einen Steinwurf entfernt steht die
Liesl Karlstadt
im bronzenen Sommerkleid. Auch an ihrem Denkmal sind die Blumen immer frisch.
    Sein richtiger Name war Valentin Fey; er wuchs in einem Stadtteil auf, der auf den ersten Blick Dörfliches, Ländliches, Liebliches verspricht. Die Münchner mögen diesen unaufgeregten Stadtteil, dreimal im Jahr wird um die Mariahilfkirche die
Auer Dult
veranstaltet, ein Trödelmarkt fast ohne Touristen.
    Bei genauerem Hinsehen hatte so eine Kindheit in der Au wenig Liebliches, rau und kratzig muss es zugegangen sein, eine Atmosphäre von Gewalt und Angst regierte. Die Kindergangs schauten sich die Brutalität von den Erwachsenen ab und wandten sie woanders wieder an. Valentin war einer der Anführer. »Da kimmt der Deifi von der Au!«, schrien sie und rannten weg. Tollkühn und intelligent, rothaarig, abstehende Ohren, Unsinn im Sinn. In der Schule versuchte man ihn zu bändigen, von einem Lehrer soll er geprügelt worden sein, bis er ohnmächtig wurde. Später fand er hier, in der Au, die Charaktere für seine Rollen. Handwerker, Schreiner wie er selbst, Laienmusiker, Dreiviertelprivatiers, auch seine bornierten Vorstadtstenzen, Alleswisser und Alleskönner, mit den Händen in den Hosentaschen und mit einem Bein im Abgrund. Bis heute haben diese Typen Generationen melancholischer Komödianten als Vorlage gedient.
    Vier Jahre schlug er sich mit Wirtshausauftritten durch, dann, fast über Nacht, der Durchbruch. Der skurrile Monolog »Das Aquarium« war bald Stadtgespräch, die Vorstellungen über das »Skelettgigerl«, den die Natur gar so »zsammgricht« hat, ausverkauft. Im Frankfurter Hof, der Kleinkunstbühne und Singspielhalle, wurde er vom Fleck weg engagiert. Hier lief ihm auch die Nebenerwerbssoubrette Elisabeth Wellano über den Weg, die wunderbare
Liesl Karlstadt,
seine zweite Hälfte auf der Bühne. Nicht Stichwort-, sondern Ideengeberin, eine fantasievolle, erfinderische, warmherzige, raumgreifend präsente Mit- und Gegenspielerin. Dass sie eine Begabung hatte für das komische Fach, hat er schnell entdeckt. Fortan standen sie zu zweit auf der Bühne, ein Paar, beruflich und privat. Sie sollen es nicht leicht miteinander gehabt haben, speziell sie nicht mit ihm.
    In einem ehemaligen Käseladen am Platzl hat er das erste Filmstudio gegründet, hier konnte er herumexperimentieren. Seine Filme handelten vom Scheitern, die Figuren waren wie Sisyphos, der den Stein den Berg hinaufwälzen muss, weil er immer wieder herunterrollt. Beim Hinaufwälzen hatte er das Herabrollen bereits in den Knochen. Das war komisch und quälend. Nichts gehorchte ihm, die Dinge waren widerspenstig, sie entzogen sich dem Willen. Einen großen Verehrer hatte er in
Bertolt Brecht.
Mit ihm machte er 1923 den Film »Mysterien eines Frisiersalons«. Ein surrealistisches Kunstwerk ist da entstanden, Brechts Manuskript sind ein paar lose Zettel. Mord, Blut, Leichen, Eifersucht, Köpfe werden beim Rasieren abgeschnitten, fallen zu Boden, wandern herum. Brecht und Valentin haben ein neues Medium für sich entdeckt. Nach sechs Monaten ist das Studio pleite.
    Mit seinem Grusel- und Lachkabinett, für das er sich rigoros und egoistisch das Gesparte seiner Partnerin unter den Nagel gerissen hat, scheiterte Valentin ebenso; nach nur zwei Monaten musste sein Panoptikum wegen Kundenmangels

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