München Manhattan #1
wenige Meter von ihr entfernt. Ihre Jungs, Jossie und Freddy, schlafen schon seit Stunden. Die beiden waren heute Abend sogar ganz außergewöhnlich reizend gewesen. Sonst sind sie das zwar eigentlich auch – aber sie sind halt zwölfjährige Jungs: Laut, frech und gleichzeitig verschlossen. Keine Kinder mehr, aber auch noch keine Jugendlichen.
Doch heute Abend hatten sie ihre Stimmung gespürt. Wie das eben nur Kinder können. Gavin hingegen hatte gar nichts von ihrer Niedergeschlagenheit mitbekommen. Er hatte den ganzen Abend an dem neuen Album gearbeitet. Jetzt, wo er den Plattenvertrag in der Tasche hat, muss er endlich das letzte Lied fertig schreiben.
So sehr sie es eigentlich liebt, wenn Gavin auf seiner Gitarre vor sich hin zupft und durch seine Musik ihr Leben ein kleines bisschen schöner macht – heute Abend hatte sie sich nicht daran erfreuen können.
Charlotte war eigentlich der erste Mensch, der ihr damals vor 14 Jahren in Manhattan über den Weg gelaufen war. Sophie hatte gerade ihre Konditor-Ausbildung in München abgeschlossen und wollte einfach ein wenig die große weite Welt schnuppern.
Auf einer Bank im Central Park hatte sie der Unterhaltung zweier stylischer Businessfrauen gelauscht. Sie hatten von dem szenigen neuen Geheimtipp im West Village geschwärmt, ganz in der Nähe von Bleeker Street. Nichts wie hin, hatte sie sich gedacht und war auch ohne große Schwierigkeiten mit ihrer ‚Hop On Hop Off ’ Fahrkarte für Touristen in unter einer Stunde genau dort an der Ecke der 11th Street, vor der Tulip Bakery , gelandet.
Es war gar nicht so einfach gewesen, sich zu entscheiden. Ein ‚ cream cheese swirled brownie ‘ oder lieber ein ‚ lemon bitter cream cupcake ‘ oder doch lieber ein ‚ cranberry orange muffin ‘ ?
Am Ende hatte sie alle drei bestellt. Und das mit ihrem deutschen Akzent. Und plötzlich hatte eine unglaublich gutaussehende blonde New Yorkerin neben ihr gestanden, mit Beinen bis zum Himmel und einer Ausstrahlung, die sie einfach nur ins Staunen versetzt hatte. Und die hatte einfach Deutsch mit ihr gesprochen. Charlotte!
Eine richtig liebevolle Freundschaft war es zwar nie wirklich geworden, aber Spaß hatten sie immer miteinander gehabt. Es war ihr selber zwar oft ein wenig zu schrill gewesen, aber New Yorker Night Club Leben zu schnuppern mit einer Insiderin – das hatte schon was gehabt!
Charlotte und ihre Männer – das war damals schon so eine Sache. Männer waren diesem blonden Vamp einfach ausgeliefert. Sophie hatte nie einen einzigen kennengelernt, der Charlottes Waffen wirklich gewachsen war. Und da hatte es einige gegeben!
Mit der Geburt von Jossie und Freddy war der Kontakt zu Charlotte dann etwas weniger geworden. Bis zu diesem einen Tag im Herbst.
Sophie merkt wie die Tränen in ihr hochsteigen. Sie sucht in ihrer Strickjacke nach einem Taschentuch.
Sie hatte die Kinder gerade von der Schule abgeholt, Jossie hatte unterwegs bei dem Deli an der Ecke auch seinen allerletzten Vorderzahn verloren. Jetzt hatte er wirklich wie ein zahnloses Krümelmonster ausgesehen. Und Freddy hatte den ganzen Weg nach Hause geweint, weil er noch immer keinen einzigen verloren hatte und sehnsüchtig auf die Zahnfee wartete.
„Jetzt beruhig dich doch, mein Engel“, hatte Sophie ihren Sohn besänftigt, als sie vor der Haustür gestanden hatten. „Wir gehen erstmal hoch. Papa hat bestimmt schon was Schönes gekocht. Das macht er doch freitags immer …“
„Hey! Wo willst Du hin?“, hatte Sophie ihrem Sohn hinterher gerufen, der seinem Bruder Freddy auf die andere Straßenseite gefolgt war.
„Ach bitte, Mommy ! Bitte können wir noch eine halbe Stunde an die Tischtennisplatten gehen? Wir haben doch die ganze Woche nicht gespielt.“
Sophie hatte geseufzt und sich gleichzeitig gefreut. Sie war einfach so glücklich gewesen. Sie hatte zwei gesunde, schlaue Kinder, einen liebevollen Mann und ein schönes Zuhause in Stuyvesant Park.
„Ja, klar. Geht nur. Ich rufe euch dann in einer halben Stunde zum Essen rein!“
Das passt ja auch eigentlich ganz gut. Ich wollte so wieso erstmal kurz ein ernstes Wörtchen mit meinem lieben Mann sprechen! Erst kommt der Vorschuss für sein Buch nicht pünktlich vom Verlag. Dann geht er an unser Festgeld, weil er einen neuen Computer braucht und jetzt bekomme ich noch nicht mal fünfzig Dollar aus dem Geldautomaten!
Sie war so schnell sie konnte den Flur des hübschen Apartment Gebäudes entlanggelaufen. Ihre
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