Münsterland ist abgebrannt
Raum seinen roten Kopf und kombinierten messerscharf, dass zwischen Yasi und ihm irgendetwas lief.
Zum Glück klingelte kurz darauf Fahlens Handy. Der Anrufer war anscheinend wichtig, denn Fahlen wimmelte ihn nicht ab, sondern verkündete eine fünfminütige Pause, während er sich mit dem Handy am Ohr in den Nebenraum zurückzog.
«Ich muss mal aufs Klo», murmelte Bastian in Susannes Richtung und stürzte aus dem Saal.
Yasi fing ihn an der Tür ab und sagte: «Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr.»
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Zehn
Ulrich Vogtländer hob die Hand und schlug zu. Eine Mücke. Sobald es wärmer als sieben Grad Celsius wurde, nervten auf Spitzbergen die Mücken. Eine überraschende Begrüßung für die Kreuzfahrttouristen, die in ihrer teuren Thermokleidung die Gangway hinunterkletterten. Statt der im Reiseprospekt versprochenen eisigen Arktis: Mücken wie in der sibirischen Tundra.
Vogtländer hob den Blick vom Monitor seines Computers und schaute aus dem Fenster. Sein mit Holz verkleidetes Reihenhaus stand auf einer Anhöhe über dem Adventfjord. Im kurzen Nordpolarsommer legten fast täglich Kreuzfahrtschiffe in Longyearbyen an. Auch heute ankerte so eine schwimmende Kleinstadt am Kai. Bald würden Horden von Michelin-Männchen das Zentrum von Longyearbyen überschwemmen, die
Brasseri Nansen
und das
Kroa
stürmen, als gäbe es auf ihrer schwimmenden All-inclusive-Insel nicht genug zu essen und zu trinken.
Vogtländer hasste die Touristen, besonders die deutschen. Diese in Watte verpackten Fleischklöße, die ihn mit ihren furchtbaren Dialekten an seine alte Heimat erinnerten. Dabei war er hierher, ans Ende Europas, geflüchtet, um dem deutschen Geist und Ungeist zu entgehen, den Geschäftemachern und Brauchtumspflegern, den Schützenbrüdern und Fahnenschwenkern. Und nun sächselte und schwäbelte es im
Kaufhaus Lompen
und vor der stillgelegten Seilbahnstation um die Wette. Im Sommer traute sich Vogtländer tagsüber kaum noch aus dem Haus. Lieber wartete er ab, bis die Signalhörner der Kreuzfahrtschiffe verkündeten, dass die Straßen frei waren, und die Touristen auf den sanften Wellen des Isfjords zu ihrem nächsten Landausflug schaukelten, nach Barentsburg, nach Ny Ålesund oder, zwei Seetage weiter südlich, zum Nordkap.
Gut, dass die Sommersaison so kurz war. Schon Ende August brach mit dem ersten Sonnenuntergang der Herbst an, und von November bis Februar war es stockdunkel. Am liebsten mochte Vogtländer die blauen Wochen. Jene Jahreszeit zwischen der absoluten Polarnacht und dem Aufblitzen der ersten Sonnenstrahlen hinter den Berggipfeln. Wenn sich tagsüber der Himmel für ein paar Stunden bläulich färbte und man mit den Schneescootern auf den zugefrorenen Fjorden bis weit nach Norden fahren konnte, bis zur Hinlopenstraße und Nordaustland. Fast alle Bewohner von Spitzbergen schätzten die Wintersaison mehr als die Sommersaison. Im Sommer steckte man in den Ortschaften fest, nur Boote, Hubschrauber und Flugzeuge ermöglichten dann ein Fortkommen. Im Winter dagegen war die Landschaft unbegrenzt, Motor- und Hundeschlitten glitten federleicht über Eis und Schnee. Wer immer die Zeit und die Gelegenheit hatte, verließ für ein Wochenende oder eine Woche sein Haus und übernachtete in einer der vielen Hütten. Man musste nur aufpassen, dass man sich bei den tiefen Minusgraden keine Finger oder Zehen abfror.
Natürlich kamen auch im Winter Touristen, vor allem von März bis Mai, wenn die Sonne bereits wieder hoch am Himmel stand. Schneescooter-Touren gehörten mittlerweile zu den Attraktionen Longyearbyens. Und Vogtländer konnte es den Einheimischen nicht verdenken, dass sie auf den Tourismus setzten. Der Kohlebergbau, seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die größte Einnahmequelle Spitzbergens, war längst ein Minusgeschäft. Fast alle Gruben in der Umgebung Longyearbyens hatten dichtgemacht, nur noch in der Grube 7 , oben im Adventdalen, wurde gearbeitet. Die Grube befand sich seit einiger Zeit in der Hand der Arbeiter, aber was hier an Kohle gefördert wurde, reichte gerade, um Longyearbyen selbst mit Energie zu versorgen. Die SNSK , die Große Norwegische Spitzbergen-Kohlegesellschaft, früher die alleinige Herrscherin über Longyearbyen, konzentrierte ihre Aktivitäten inzwischen auf die Zeche Sveagruva, fünfzig Kilometer weiter südlich. In Sveagruva gab es breitere Kohleflöze, die den Einsatz von Menschen und Material lohnenswerter machten. Doch dauerhaft wohnen
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