Münsterland ist abgebrannt
sich auf den Rücken und seufzte. «Du verstehst das nicht.»
«Kein Wunder, es hat mich ja noch niemand aufgeklärt.»
«Okay.» Sie stützte ihren Kopf auf die Hand. «Dann will ich dich mal aufklären. Seitdem ich in Deutschland bin, habe ich eine Menge Leute kennengelernt: Studenten, Kollegen, Zufallsbekanntschaften. Die meisten von ihnen steckten in langjährigen Beziehungen oder waren verheiratet. Und tatsächlich hatte ein kleiner Teil von ihnen den Zustand der Zufriedenheit erreicht. Aber der große Rest war unglücklich, enttäuscht, eifersüchtig, von den täglichen Streitereien in der Beziehung zermürbt. Ich habe genug verheulte Gesichter gesehen und Trost gespendet, ich habe Leute depressiv und alkoholkrank werden sehen. Und das alles nur, weil ihr die verrückte Idee verfolgt, dass Männer und Frauen zusammenleben sollten.»
«Hey», sagte Bastian, «das klingt für mich so, als ob du aus Angst vor dem Tod Selbstmord begehen willst. Nur weil es auch unglückliche Beziehungen gibt, heißt das doch nicht, dass man sein Leben lang allein bleiben muss.»
«Ich bin nicht allein», sagte Yasi. «Obwohl ich meine Familie oft vermisse.»
«Siehst du», konterte Bastian, «auch du hast eine Familie. Wenn sich dein Vater und deine Mutter nicht zusammengetan hätten, gäbe es weder dich noch deine Familie.»
«Ich kenne zwar meinen biologischen Vater, aber wir haben kein besonders inniges Verhältnis. Und zu meiner Familie gehört er nicht.»
«Auch eine Besuchsehe ist doch so etwas Ähnliches wie eine Ehe.»
«Besuchsehe?» Yasi verzog spöttisch das Gesicht. «Du hast dich im Internet informiert?»
«Na klar. Wenn man so vor die Tür gesetzt wird wie ich neulich von dir, dann macht einen das verdammt neugierig. Ich weiß also, dass bei den Mosuo ein Matriarchat herrscht und alle ihr Leben lang in der Familie der Mutter bleiben. Männer dürfen ihre Frauen nur in der Nacht besuchen und müssen bei Morgengrauen wieder verschwinden.»
«Besuchsehe ist ein blöder Begriff, den die Chinesen erfunden haben», sagte Yasi. «Tatsächlich existiert bei uns keine Ehe – oder nur im Ausnahmefall. Meine Oma sagte manchmal: ‹Wenn du nicht brav bist, wirst du verheiratet.›»
«Trotzdem», beharrte Bastian. «Irgendeine Art von Beziehung wird es doch zwischen Männern und Frauen geben?»
«Du meinst Liebe?» Yasi lachte. «Die gibt es wirklich. Sobald ein Mädchen zur Frau wird, findet ein großes Fest statt. Dann erhält sie viele Geschenke, neue Kleider und – was am wichtigsten ist – ein eigenes Zimmer. Dort kann sie Männer empfangen – wen sie will und so oft sie will. Einzige Bedingung ist, dass es nachts geschehen muss.»
«Und woher wissen die Männer, dass sie erwünscht sind?»
«Du bist dumm.» Yasi gab ihm einen spielerischen Klaps auf den Bauch. «In dieser Hinsicht ticken wir nicht anders als andere Menschen. Wir verlieben uns ineinander – was dachtest du denn? Unsere Feste, bei denen getanzt wird, sind richtige Verkuppelungsveranstaltungen. Männer und Frauen flirten miteinander, geben sich durch Blicke und Gesten zu verstehen, dass sie nicht abgeneigt sind, es zum Äußersten kommen zu lassen. Und dann, in der Nacht, zündet die Frau in ihrem Blumenzimmer ein Feuer an. Das ist das Zeichen, dass sie Besuch erwartet. Trotzdem muss der Mann an ihre Zimmertür klopfen und abwarten, ob sie ihn einlässt.»
Yasis Hand, die noch immer flach auf Bastians Bauch lag, wanderte langsam abwärts. Bastian spürte ein angenehmes Kribbeln im Zwerchfell, doch diesmal war er gewillt, der Versuchung zu widerstehen. Er packte Yasis Hand und hielt sie fest. «Moment. Ich will noch mehr wissen.»
Yasi seufzte. «Okay, Herr Kommissar. Setzen Sie das Verhör fort.»
«Wenn ich dich richtig verstehe, gibt es keine festen Beziehungen?»
«Wie oft soll ich es dir noch sagen: Das ist Sache der Frau. Ob sie sich immer mit demselben Mann trifft oder mit vielen verschiedenen, entscheidet sie allein. Ihrer Familie ist das egal. Es besteht ja nicht die Gefahr, dass der Liebhaber sich in die Geschicke der Familie einmischt, er bleibt in seiner eigenen. Der Vorteil dieser Lebensweise besteht darin, dass es bei uns weder Ehestreitigkeiten noch Eifersuchtsdramen gibt.»
«Willst du behaupten, dass ihr nie den Wunsch habt, ein gemeinsames Leben als Mann und Frau zu führen, in der Nacht
und
am Tag?»
«Niemand hindert uns daran, den Mann auch am Tag zu treffen. Und natürlich gibt es so etwas wie langfristige
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