Mürrische Monster
Sprossen, bis seine Knöchel weiß hervortraten. »Hör auf damit!« Die Leiter wirbelte auf einem Bein herum – anscheinend mochte sie es nicht, wenn man sie anbrüllte. »Tut mir leid«, sagte Richie schnell. »Echt, es tut mir leid.«
Er hatte sich nicht vorstellen können, dass das riesige Aluminiumgerät ein Dämon war. Er hatte sogar versucht, es zu überprüfen, aber er hatte sich getäuscht. Und jetzt ließ die lebendige Leiter ihn zwölf Meter über dem Erdboden an den Fingerspitzen baumeln und sprang im Garten herum. Richie schloss die Augen und hielt sich krampfhaft fest; er hoffte inständig, dass das Ding genauso wenig umfallen wollte wie er. Dann spürte er, wie sie gegen etwas Festes stießen. Er öffnete die Augen und bemerkte, dass die Leiter wieder am Haus lehnte. Sie war nur ein paar Meter zur Seite gerückt, damit er den nächsten Abschnitt der Regenrinne erreichte.
Richie atmete tief durch. Eine instabile Leiter – klassisches Chaos, dachte er, ein typischer Dämon. Er hätte es wissen müssen. Er verfluchte sich, weil er nicht von selbst darauf gekommen war, und begann, den nächsten Teil der Regenrinne auszukratzen.
Nate beobachtete seinen Lehrling vom Fenster aus. Der Drang, hinauszustürmen und Richie zu helfen, war stark, aber Nate ließ es bleiben, um zu sehen, ob der Junge allein mit dem Chaos zurechtkam. Die Mätzchen der Leiter hatte er ja überlebt, und das war schon einmal vielversprechend.
Kurz darauf stand Richie wieder auf dem Rasen und warf einer Gruppe von pummeligen kleinen Engelsfiguren verfaultes Gemüse zu. Die Figuren tapsten den Leckerbissen entgegen wie verirrte Entlein mit Blähbäuchen, die mit jedem Happen dicker wurden. Sie folgten Richie, bis er sie alle vor dem zersprungenen, mit Brackwasser gefüllten Springbrunnen gruppiert hatte. Er fand eine überreife Honigmelone und rollte sie auf die Figuren zu.
RUMMS!
Abgebrochene Gliedmaßen segelten durch die Luft.
»Volltreffer!«, jubelte Richie. Grinsend wandte er sich um. Vor ihm stand Nate und musterte ihn stirnrunzelnd.
»Schöne Schweinerei«, sagte er. »Eigentlich hatte ich dich zum Saubermachen rausgeschickt.«
»He, die kleinen Fettwänste werden doch von selbst wieder heil.«
Hinter ihm begannen die Engelsfiguren bereits eifrig, sich wieder zusammenzusetzen, balgten sich um einzelne Gliedmaßen, vertauschten Körperteile. Einer Figur ragte ein Arm aus dem Hals. Eine andere hatte sich fälschlicherweise die Nase zwischen die nackten Beinchen gesteckt.
»Mit Engeln zu kegeln ist Unfug«, schimpfte Nate. »Wir haben hier schon genug Chaos, ohne dass du auch noch mitmischst.«
»Ich hab mir doch bloß einen Spaß gemacht«, hielt Richie dagegen. »Du lässt mich dauernd stupide Putzjobs und Aufräumarbeiten verrichten, als wär ich ein ganz gewöhnlicher Junge.«
»Aber du bist doch noch ein Junge.«
»Ja, aber kein gewöhnlicher. Als du mich bei dir aufgenommen hast, meintest du, ich hätte besondere Fähigkeiten, und jetzt erledige ich bloß irgendwelche Hilfsarbeiten. Manchmal glaub ich fast, du nutzt mich aus.«
Nate nickte. »Das haben dir die Masken eingeflüstert, stimmt’s? Ich habe dich doch vor ihnen gewarnt.«
Richie ließ die Schultern hängen. »Ich dachte, ich würde irgendwelche Zaubertricks lernen.«
»Wir zaubern nicht. Das ist Fantasy-Quatsch. Wir sind keine Hexenmeister.«
»... und gegen das Böse kämpfen.«
»Dämonen sind nicht böse. Sie sind nur lebendig gewordene Entropie.«
Richie sah Nate mit verständnislosem Blick an.
»Betrachte sie als wilde Tiere«, erklärte Nate, »als Elefanten oder Tiger, nur dass sie niemand außer uns sehen kann. Zoowärter kämpfen auch nicht gegen ihre Tiere, oder?«
»Nein«, räumte Richie ein.
»Sie passen auf sie auf«, sagte Nate.
»Ich dachte bloß, dass das Ganze ein bisschen ...« Richie suchte nach dem passenden Wort. »... ein bisschen magischer wäre«, sagte er schließlich.
Nate seufzte. »Auf Dämonen aufzupassen ist eine ernste Angelegenheit, kein Spiel. Generationen von Hütern haben ihr Leben der Aufgabe verschrieben, die Manifestationen des Chaos einzufangen, die in diesem Haus wohnen. Sie zu beschützen ist eine lebenslange Bestimmung, die wir über unsere persönlichen Bedürfnisse stellen.« Richie verdrehte die Augen, und Nate wurde be-wusst, dass er dem Jungen den gleichen Vortrag schon einmal gehalten hatte. »Und wer Fehler macht, wird aufgefressen«, fügte er hinzu. Ihm war klar, welches Risiko er mit
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