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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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sagst!«, las ich auf dem Schild neben ihm. Mein Herz schlug schneller. Dieser Papagei war der Bruder, den ich nie hatte! Was hätten wir für einen Spaß haben können beim Familienrat, wo ich normalerweise allein gegen zwei Erwachsene antreten musste, die mir rhetorisch weit überlegen waren. Mit so einem Papagei wäre alles anders gewesen. Unermüdlich hätte er Wort für Wort wiederholt, und so meinen Argumenten mehr Nachdruck verliehen. Doppelt so viel, um genau zu sein.
    Als ich in der dritten Klasse war, beherbergten wir eine Woche lang einen echten Papagei, dessen Besitzer im Urlaub waren. Er hieß Kuno und konnte zwar reden (»Mein Name ist Müller! Kuno Müller!«), taugte aber nicht als Unterstützung in Diskussionen mit meinen Eltern, da er seine Kräfte lieber aufsparte, um mitzusingen, wenn mein Vater Klavier spielte. Elender Schleimer! Ein Stoffpapagei hingegen wäre immer auf meiner Seite gewesen.
    Aber den hätten mir meine Eltern sowieso nicht gekauft. Wenn ich unbedingt wollte, dass etwas Geräusche machte, konnte ich ja Klavier spielen, deshalb gab es bei uns auch nur Spielzeug, das meine Kreativität anregen sollte. Meine Eltern fanden es wichtig, dass meine Spielsachen mir die Freiheit ließen, sie nach eigenen Vorstellungen zu benutzen. Das machte ich auch konsequent und verpasste meiner Langhaarpuppe eine schicke Kurzhaarfrisur. Kam aber nicht so gut an.
    Aus Ermangelung an aufregenden Spielsachen mussten Nora und ich auf andere Unterhaltungsmöglichkeiten zurückgreifen, Blinde Kuh in unserem Vier-Quadratmeter-Flur zum Beispiel, und als das irgendwann langweilig wurde, dachten wir uns ein neues Spiel aus. Es bestand darin, so viele Eiswürfel wie möglich in den Mund zu nehmen und im Kreis zu rennen, bis man die Kälte im Mund nicht mehr aushielt. Dann spuckten wir die Eiswürfel auf die Waschlappen, die wir extra dafür in die Zimmerecken gelegt hatten. Ein trauriges Spiel, aber wir hatten ja nichts.
    Ganz anders Anna. Sie hatte nicht einfach nur eine Puppe, sondern die komplette Barbiesammlung und ein paar von diesen rosafarbenen Plastikmuscheln, die man aufklappen konnte und die sich dann in ein Puppenhaus verwandelten. Sie hatte nicht einfach nur einen Kreisel, sondern einen, der leuchtete und ein Lied spielte, wenn man ihn drehte. Und sie hatte Ponys. Keine echten, bei denen man den Stall ausmisten musste, sondern kleine Plastikponys mit irrsinnig langen Wimpern, die immer lächelten und ihr rechtes Vorderbein anmutig anwinkelten. Sie waren rosa, lila, hellblau oder türkis, und wenn man sie kämmte, verfärbten sich ihre Mähnen.
    Ihr Spielzeug war genau das Gegenteil von dem, was meinen Eltern wichtig war. Es ließ keinen Raum für Interpretationen. Wenn meine Spielsachen wie ein Buch waren, dann waren ihre wie ein Fernseher: Im Zweifel spielten sie auch alleine. Und man konnte sich einfach davorsetzen, zuschauen und wurde unterhalten. Herrlich.
    Schließlich kam ich im Spielzeugparadies vor einem Regal an, angesichts dessen die Farbe Rosa vor Neid erblassen würde. Hier regierte Prinzessin Lillifee. Dieses zarte, blond gelockte Wesen, nicht Prinzessin und nicht Fee, aber trotzdem irgendwie beides; ein Hermaphrodit der ersten Stunde, gefangen im Körper eines Mädchens mit einem zu großen Kopf.
    Zu Annemies letztem Geburtstag hatte ich ihr eine Blumenpresse geschenkt, die zwar gnädig von ihr abgenickt worden war, sie aber lange nicht so interessiert hatte wie meine pinkfarbenen Fingernägel. Sie machte doch jetzt auch Ballett, vielleicht würde sie sich über die Spieluhr in Herzform freuen, in der, wenn man den Deckel aufklappte, Prinzessin Lillifee zu Schwanensee tanzte. Und Schmuck konnte man auch noch reinlegen!
    Kurz dachte ich an die Feministinnen, die regelmäßig behaupteten, dass rosafarbenes Spielzeug Mädchen zu dummen Modepüppchen mache.
    Feministin:
    So jemand wie Prinzessin Lillifee ist schuld daran, dass ganz normale Mädchen überm Klo hängen und kotzen, weil sie sich zu dick finden. Da wird den Mädchen von klein auf vermittelt, dass Erfolg, Bewunderung und Anerkennung allein von einem schönen Äußeren abhängen, nicht von einer bestimmten Leistung. Das ist doch der falsche Weg. Junge Mädchen brauchen Role-Models, an denen sie sich orientieren können, starke Frauen, die ihren eigenen Weg gehen. Im späteren Leben kann sich nämlich niemand die Benachteiligung von Frauen wegzaubern, ha! Schön wär’s, ist aber nicht so. Kleine Mädchen sollten lieber

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