Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
auspacken.
Johlend drängten sich die Kinder um den Gabentisch, auf dem die vermutlich von den Eltern liebevoll eingewickelten Geschenke lagen. Aber die Verpackung interessierte Annemie kein bisschen. Gierig riss sie das Papier einfach ab, etwas, das ich früher nie machen durfte. Das konnte man schließlich noch mal verwenden!
Ich erinnerte mich an Leonies Geburtstagsfeier, 1991 . Motto: Tausendundeine Nacht. Leonies Mutter ging einzig und allein aus dem Grund halbtags arbeiten, damit sie ihren Kindern alles kaufen konnte, was sie wollten. Das waren natürlich schwierige Voraussetzungen, um ein angemessenes Geschenk zu finden. Aber machbar. Ich ging mit meiner Mutter in die Stadt und stellte ein Ensemble aus Badeperlen (konnte man nie genug haben), Süßigkeiten (konnte man direkt essen) und einer Bibi-Blocksberg-Kassette (konnte mehr als Benjamin Blümchen) zusammen. Fehlte nur noch die Verpackung. Zu Hause suchte ich nach der Tüte, in der wir das Geschenkpapier von Ostern, Weihnachten und den Geburtstagen der letzten zehn Jahre aufbewahrten. Da war doch sicher eins dabei, das Leonie gefallen würde. Zwischen Packpapier und Nikoläusen auf grünem Grund wurde ich schließlich fündig: rosa schillerndes Papier, »Happy Birthday«-Schriftzug, tanzende Diddl-Mäuse – das einzige Geschenkpapier, das ein bisschen knalliger war als die anderen. Perfekt. Ich pulte die Tesafilmreste ab und holte das Bügeleisen aus dem Wandschrank, um die Knitterfalten zu entfernen. Darin hatte ich Übung. Schließlich musste ich samstags immer unsere Stofftaschentücher bügeln. Dann verzierte ich das Ganze noch mit einem goldenen Geschenkband, das ich zuerst mit einer Schere kringelte und dann mit einer Nadel in viele kleine Bänder auftrennte und war zufrieden.
Zumindest bis ich vor Leonie stand und ihr das Geschenk überreichte.
»Verrückt«, kreischte sie und wendete es hin und her, »das gleiche Papier hatten wir auch!«
»Ach ja?«
Ich ahnte Schlimmes.
»Klar«, rief Leonie, »damit hat meine Mutter letztes Jahr auch immer alle Geschenke eingepackt. Aber jetzt ist Diddl ja total out.«
Na toll. Nicht nur, dass ich Leonie ihr eigenes Geschenkpapier zurückschenkte, jetzt war es auch noch altmodisch. Zerknirscht klärte ich die Sache auf.
»Wie?«, fragte Leonie. »Ihr benutzt altes Geschenkpapier?«
»Ja klar. Ihr etwa nicht?«
»Natürlich nicht. Meine Mama kauft immer neues.«
Das einzige Mal, dass wir einen Bogen Geschenkpapier gekauft haben, war vor meiner Einschulung. Meine Mutter wollte nämlich keine genormte Schultüte kaufen, sondern selbst eine basteln, und ich durfte mir das Papier aussuchen. Im Schreibwarenladen ließ ich meine Finger über die verschiedenen Bögen Glanzpapier gleiten. Sie waren so glatt und rochen so neu, dass es unmöglich schien, sich für eins zu entscheiden. Schließlich fiel meine Wahl auf ein cremefarbenes, glänzendes Papier, auf dem weiße Tauben auf Zweigen saßen. In ihren Schnäbeln hielten sie goldene Ringe, die von einem rosafarbenen Band mit einer Schleife zusammengehalten wurden.
»Mama, das Papier möchte ich haben«, sagte ich.
Meine Mutter lachte.
»Das? Das ist Hochzeitspapier.«
»Na und?«
»Man nimmt doch kein Hochzeitspapier für eine Schultüte.«
»Warum nicht?«
Sie schwieg.
Und die neidischen Blicke meiner Mitschülerinnen am ersten Schultag gaben mir recht.
Trotzdem, dass in anderen Familien regelmäßig neues Geschenkpapier gekauft wurde, das war neu. Einfach so, für einen Geburtstag. Verrückt. Bis dahin hatte ich außerdem gedacht, der Inhalt sei weitaus wichtiger als die Verpackung, doch als ich die Geschenke der anderen Gäste sah, wurde ich eines Besseren belehrt. Allein auf die äußeren Werte kam es an. Das Geschenk von Janina zum Beispiel bestand hauptsächlich aus einem mit Gas gefüllten Luftballon. Er war rot und herzförmig und innendrin waren Konfetti und Glitzer. Wenn man ganz genau hinschaute, konnte man erkennen, dass sich irgendwo dazwischen ein lächerlich kleines Nici-Schaf befand (Nici-Tiere waren nämlich die neuen Diddlmäuse, nur ich hatte mal wieder nichts mitbekommen). Passte eigentlich ganz gut zu Janina. Tolle Verpackung, wenig Inhalt.
»Krass«, sagte Leonie.
War ich die Einzige, die daran dachte, dass nicht mehr viel von dem Geschenk übrig blieb, wenn der Luftballon erst einmal zerplatzt war?
Annemie hatte mittlerweile schon fast alle Geschenke ausgepackt. Das Papier warf sie auf den Boden, wo die anderen Kinder
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