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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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rechtzeitig lernen, wie man kämpft, das machen die Jungs ja auch, mit Plastikpanzern und so. Doch, doch, klar bin ich Pazifistin, aber mit süß lächeln und Röckchen heben kommt man eben nicht auf den Chefsessel, höchstens kniend davor. Wir brauchen endlich Gleichberechtigung, und das muss schon beim Spielzeug anfangen. Weg mit den einseitigen Geschlechterbildern! Weg mit rosafarbenem Spielzeug! Pink stinkt!
    Mir wäre es ehrlich gesagt lieber gewesen, ich hätte die Rosa-Phase schon als Kind ausleben dürfen, dann hätte ich das jetzt nämlich hinter mir und würde nicht mit Mitte zwanzig damit liebäugeln, mir die Spieluhr selbst zu kaufen. Übrigens ist Pippi Langstrumpf, das literarische Vorbild der Frauenbewegung, genauso dünn wie Prinzessin Lillifee, was durchaus daran liegen mag, dass sie beide noch nicht in der Pubertät sind. Abgesehen davon – für pädagogisch wertvolles Spielzeug waren ja wohl Annemies Eltern verantwortlich, ich war hier nur die Patentante. Ich dachte daran, wie sehr ich mir als Kind eine Barbie gewünscht hatte. Bekommen hatte ich keine. Scheiß auf die Feministinnen.
    Ich nahm ein Prinzessin-Lillifee-Verkleidungsset aus dem Regal, wenn schon, denn schon. Es bestand aus einem rosa Tüllkleid, einem rosa Zauberstab mit einem plüschigen rosa Stern am Ende, einer rosa Krone und rosa Chiffon-Flügeln. Dann flog ich zur Kasse und zahlte mit den Treueherzen, die aus dem Zauberstab stoben. Die Spieluhr nahm ich auch noch mit. Und eine Packung Gummibärchen.
    Einen Tag vor Annemies Geburtstag rief ihre Mutter an.
    »Jens ist krank«, sagte sie. Jens war der Papa von Annemie. »Kannst du vielleicht bei der Geburtstagsfeier aushelfen? Alleine schaffe ich das nicht mit sieben Kindergartenkindern.«
    Klar konnte ich, mit den paar Bälgern würde ich schon fertig werden. Wie sich einen Tag später herausstellte, waren nicht die Kinder das Problem, sondern die Eltern.
    »Der Lars-Ole darf kein Fleisch und nichts mit Gluten«, sagte die erste Mutter zur Begrüßung, als sie ihren Sohn bei Annemie ablieferte. Alles klar.
    »Du, bitte achte darauf, dass die Miriam nichts Süßes isst«, sagte Miriams Vater und winkte zum Abschied. Jaha.
    »Es ist ganz wichtig, dass der Sören seinen Mittagsschlaf macht«, sagte die Frau, die Sörens Mutter sein musste, »und zwar um halb drei.«
    Ich schaute auf die Uhr. Es war zwei. Das konnte sie so was von vergessen.
    »Natürlich, ich kümmere mich darum«, sagte ich und lächelte mein patentantigstes Lächeln.
    Sie kniete sich hin, um ihren Sören sehr fest zu umarmen.
    »Er hängt einfach so an mir!«, sagte sie, und als er sich erfolgreich von ihr losgerissen hatte und zu den anderen Kindern gerannt war, fing sie an zu weinen. Mit letzter Kraft schob ich sie aus dem Eingangsbereich und schloss die Tür hinter ihr. Anstrengender konnte es eigentlich nicht mehr werden. War das früher etwa auch so gewesen?
    Ich dachte an die Geburtstage in meiner Kindheit. Damals waren die meisten Eltern froh, wenn sie ihr Kind mal für einen Nachmittag los waren. Sie gingen dann in die Sauna oder spazieren oder lasen das Buch zu Ende, das sie vor Monaten angefangen hatten. Wenn sie ihr Kind auf der Party ablieferten, ermahnten sie es, brav zu sein und sagten entschuldigend zu den Eltern: »Hoffentlich tanzt er Ihnen nicht allzu sehr auf der Nase herum.«
    Und weg waren sie.
    Da konnte es schon mal vorkommen, dass sie zu erwähnen vergaßen, dass ihr Kind allergisch gegen Haselnüsse war. So wie damals bei Timo, der nach ein paar Bissen von Annas Geburtstagskuchen rot anlief, keine Luft mehr bekam und dann von Annas Vater ins Krankenhaus gefahren wurde. Als er eine Stunde später wiederkam, war er der Held des Tages, und als ihn seine Eltern später abholten und von dem Vorfall erfuhren, entschuldigten sie sich für die Unannehmlichkeiten. Selbstverständlich bei Annas Eltern, nicht bei ihrem Sohn. So was passierte halt.
    Bei Annemies Freunden hatte ich eher das Gefühl, sie waren froh, dass sie ihre Eltern endlich mal los waren, so ausgelassen, wie sie herumtobten. Aber ich hatte alles total unter Kontrolle. Miriam wurde Zweite beim Schokoladentafelessen, Lars-Ole stürzte sich auf die Fleischbällchen mit Tomatensoße und Sören zog sich in Begleitung eines Mädchens zum Mittagsschlaf zurück. Danach waren die Kinder so heiser, dass der Lärmpegel auf ein erträgliches Maß gesunken war, und wir konnten endlich mit dem wichtigsten Teil beginnen: Kuchen essen und Geschenke

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