Muetter ohne Liebe
eigenen Aggressionen, Angst vor Trennungen, alles Ängste, die die Entfaltung der Persönlichkeit verhindern.» (Mitscherlich 1990, S. 16)
Solche Fragen sollten jenseits des Muttermythos kritisch überprüft und offen diskutiert werden. Das sentimentale Ideal der guten Mutter führt zu Gefühlen des Versagens, des Ungenügens, der Überforderung, der Frustration. Welche Mutter ist schon immer sanft, geduldig, einfühlsam, hat immer alle Zeit der Welt und ein offenes Ohr für ihr Kind? Welche Mutter ist nicht auch ungeduldig, wütend, manipulierend und empfindet ihr Kind zuweilen als Belastung? Eigentlich ist das selbstverständlich, aber das Ideal zwingt dazu, entsprechende Aspekte zu unterdrücken, zu verleugnen, abzuspalten. Auch vor anderen muss die «gute Mutter» verleugnen, wenn sie sich durch die Betreuung eines Kleinkindes nicht ausgefüllt fühlt und die Mutterschaft ihr als Lebensinhalt unzureichend ist, selbst wenn es innerlich in ihr gärt und rumort. Braucht denn ein Kind wirklich eine Mutter, die mit vor Wut gebleckten Zähnen noch lächelt, die zwar körperlich anwesend, aber häufig frustriert und ablehnend ist?
6.1.2 Das Tabu destruktiver Mutter-Kind-Beziehungen
Eine tragische Folge des Muttermythos ist, die Existenz tatsächlich problematischer, destruktiver Mutter-Kind-Beziehungen auszublenden, nicht zu benennen und nicht zu thematisieren. Wir haben gesehen und wissen meist aus Erfahrung, dass viele Menschen in einer schwierigen oder tief gestörten Mutter-Kind-Beziehung aufgewachsen sind. Im Gegensatz dazu ist die Öffentlichkeit von einem Muttermythos durchdrungen, der an Heiligenverehrung erinnert: Die Mutter ist unantastbar, das Kind «gehört» der Mutter, es ist «ihre Sache». Das ist eine problematische Einstellung. Übersehen, negiert, bagatellisiert werden so das Leid, die Entwicklungsstörungen und seelischen Verletzungen, wird die ohnmächtige Abhängigkeit zahlloser vernachlässigter, manipulierter, umhergestoßener und geschlagener Kinder, die Tag für Tag im Hinblick auf Versorgung und emotionale Zuwendung von einer einzigen Frau abhängig sind. Einer Frau, die eventuell überfordert ist, übermüdet, frustriert, unwillig und wütend oder psychisch beeinträchtigt.
Es wird verleugnet, wie häufig problematische und destruktive Mutter-Kind-Beziehungen sind, es herrscht ein Verbot, die Existenz liebloser, ausbeutender und gewalttätiger Mütter wahrzunehmen, wie sie in den letzten Kapiteln beschrieben wurden. Das ist für die betroffenen Kinder tragisch, weil sich niemand für sie zuständig fühlt. Da keine wirkliche Alternative zur mütterlichen Betreuung vorgesehen ist, sind sie zwangsläufig hilflos und wehrlos auf Jahre hinaus dieser «exklusiven» Obhut ausgesetzt. Diese Mütter sind für das Kind eine denkbar schlechte Gesellschaft und stellen eindrücklich eine Kernaussage des Muttermythos in Frage, dass eine intensive Betreuung durch die biologische Mutter immer gut oder gar «das Beste für ein Kind» sei.
6.1.3 Alleinzuständigkeit und Machtmonopol der Mutter
An manchen Tagen bin ich dermaßen erschöpft, dermaßen mit meinen Nerven am Ende, dass ich sie nur deshalb nicht schlage, weil ich weiß, dass sich dadurch nichts ändern würde, dass es noch schlimmer wäre.
Wer es nicht erlebt hat, kann sich nicht vorstellen, was diese ständige Beanspruchung bedeuten kann.
Auch diese beiden Zitate von Müttern verweisen auf das Problem der emotionalen Alleinverantwortung und Allmacht der Mutter. Wie Alice Schwarzer kurz und treffend formuliert, ist es «schließlich historisch ein ganz und gar neues Phänomen, dass ein Kind – ohne Anregungen durch andere Erwachsene und Austausch mit anderen Kindern – allein mit seiner Mutter innerhalb von vier Wänden hockt. Da war früher die Großfamilie, war das Dorf oder Stadtviertel vor.» (Schwarzer 2007, S. 85) Auch die Tatsache, dass heutzutage mehr als jede zweite Mutter, auch von kleinen Kindern (in der Schweiz sind es 60 %), erwerbstätig ist, ändert nichts an der Zuschreibung der Verantwortlichkeit für die Kinderbetreuung. Wenn aber gesellschaftlich kein Ersatz für die Mutter bzw. ein selbstverständliches Teilen der Verantwortung für die Kinderbetreuung nicht vorgesehen ist, wenn sich niemand anders wirklich zuständig oder auch nur teilweise verantwortlich fühlt, dann fällt das Kind zwangsweise in ein Fürsorgevakuum, wenn die Mutter abwesend oder ihre Fürsorge unzureichend oder schädlich ist.
Es scheint,
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