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MUH!

MUH!

Titel: MUH! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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vorsichtig auf diese Häuser zu, denn laut Giacomo mussten wir durch dieses Gebiet hindurch, ob es uns gefiel oder nicht. Und es gefiel uns ganz und gar nicht.
    Aus den Fenstern der Ställe starrten viele Menschen auf uns herab, und auf dem grauen Weg, den wir zögerlich entlanggingen, traten die ersten auf uns zu. Viele von ihnen besaßen eine dunklere Hautfarbe als unser Bauer, einige der Weibchen hatten ihre Köpfe mit Tüchern bedeckt. Die älteren Männchen sahen grau und abgekämpft aus, viele der Jungmännchen hingegen trugen grelle, bunte Kleidung, bei deren Anblick man sich wünschte, farbenblind zu sein.
    Immer mehr von ihnen strömten zusammen, bis wir keine andere Wahl mehr hatten, als stehen zu bleiben, wollten wir sie nicht umrennen. Kühe hatten diese Menschen hier, das spürte man genau, noch nie von nahem gesehen. Jedenfalls nicht lebendig und am Stück. Wir hatten auch noch nie solche Menschen gesehen. Und schon gar nicht so viele.
    «Die meiste Leute hier seie wie ihr», lachte Giacomo, «die habe auch eine Migrationshintergrunde.»
    Egal, was dies auch bedeuten sollte, die vielen Menschen bereiteten mir und den anderen Angst. Jeden Augenblick erwartete ich, dass jemand ein Messer oder einen Knallstab zücken würde. Doch nichts dergleichen passierte. Stattdessen trat ein kleines Mädchen auf mich zu und reichte mir eine Karotte. Als ich deren wunderbaren Duft roch, merkte ich, was für einen unglaublichen Kohldampf ich hatte, schließlich hatten wir den ganzen Tag kaum gegrast. So schnappte ich dankbar nach der Möhre und futterte sie hastig auf. Das Mädchen lachte daraufhin vergnügt. Und als ich die Kleine so fröhlich sah, hatte ich sie für einen Moment gerne, obwohl sie ein Mensch war.
    Weitere Menschenkälber kamen zu uns und fütterten uns mit allen möglichen Köstlichkeiten, die sie so bei sich hatten. Radieschen jubelte: «Ihr müsst mal diese Weingummis versuchen!»
    «Und die Schokolade», rief Susi, «schmeckt ein bisschen wie Milch, nur sehr viel besser!»
    «Das ist gar nichts gegen dieses Ding namens Berliner!», freute sich Champion, der das erste Mal seit seinem Gedächtnisverlust wieder lächelte.
    «Mamma mia», lachte Giacomo, «ihr werde sein die erste Kühe mit die Diabetes!»
    Einige von den Menschen trauten sich jetzt sogar, uns zu streicheln. Das Ganze hier wirkte nicht mehr ganz so bedrohlich. Vielleicht, so wagte ich zu denken, während ich genussvoll einen Apfel, den mir eine ältere Frau reichte, mit meinem Maul zerkleinerte, waren ja nicht alle Menschen böse.
    Während wir von den lieben Leuten gefüttert wurden, amüsierten sich die Jungmännchen in den bunten Kleidern prächtig. Einer, der eine schräge Kappe auf dem Kopf trug, sagte zu einem anderen, in dessen Gesicht ein dünner, unregelmäßiger Haarflaum wuchs: «Hakan, schau mal, die eine Kuh sieht aus wie deine Mutter.»
    «Ey, Erkan», konterte der andere darauf, «deine Mutter ist so dick, die ist ganz allein an der Spitze der Nahrungskette.»
    Champion wandte sich von den Berlinern ab, als er dies hörte, und das Lächeln verschwand schlagartig aus seinem Gesicht. Traurig seufzte er: «Ich kann mich an meine Mutter noch nicht einmal erinnern.»
    Ich hörte auf, meinen Apfel zu kauen, Champion tat mir in diesem Moment unendlich leid. Wie schrecklich musste das für ihn sein? Doch was sollte ich ihm jetzt antworten? Ihm von seiner Mutter Karla erzählen? Dass sie sehr freizügig war und daher in der Herde den Spitznamen Karla Bums trug?
    Ja, Champion und ich hatten beide Eltern gehabt, die nicht glücklich miteinander gewesen waren, weil einer der beiden alle naselang untreu war. Bei mir war es der Vater, bei ihm Karla Bums. Wie hatte ich da eigentlich erwarten können, dass wir beide mit so einer Vorgeschichte zusammen glücklich werden konnten? Von wem hätten wir denn lernen sollen, wie man ein zufriedenes Leben führt? Der Schatten der Vergangenheit lag schon von Anfang an über unserer Liebe, schon bevor wir geboren wurden.
    Vielleicht war es doch anders, als ich gedacht hatte: Bevor man die Zukunft gestalten konnte, in der man dann endlich die Gegenwart genießen konnte, musste man wohl erst einmal die Vergangenheit bewältigen.
    Während ich so vor mich hin philosophierend meinen Apfel mümmelte, lästerte das eine Jungmännchen: «Deine Mutter ist so doof, die schreibt für Politiker die Doktorarbeiten.»
    «Und deine Mutter ist so doof, die hat den Euro erfunden», antwortete das andere und ballte

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