MUH!
aufgefallen, dann hätte ich es Champion schon auf dem Hof erzählen können, und er hätte dann gewiss nicht Susi begattet. So viel Anstand hätte er wohl gehabt. Er wäre wahrscheinlich auch gleich mit nach Indien gekommen, um seine Familie nicht im Stich zu lassen, und würde jetzt nicht unter Gedächtnisverlust leiden.
Auf der anderen Seite wäre Susi dann auf dem Hof zurückgeblieben und wäre mit den anderen aus der Herde gestorben. Außerdem hätte Champion sicherlich die Führung unserer kleinen Ausreißerherde übernommen, und auch wenn ich mir das gestern Abend noch gewünscht hatte, war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich noch wollte, dass wir Kühe uns von den Stieren so viel sagen lassen. Zumal es in Indien, sollten wir jemals ankommen, ohnehin damit vorbei sein würde.
Und dann sprach Radieschen noch etwas Wahres aus, das mir ganz und gar nicht gefiel: «Vor allen Dingen musst du Champion jetzt sagen, dass du von ihm schwanger bist.»
«Radieschen?»
«Ja?»
«Vergiss das wieder mit dem Immer-die-Wahrheit-Sagen.»
Ihre Radieschenaugen kullerten leicht verwundert. Und in meinem Becken zog es wieder. Denn selbstverständlich hatte sie recht: Irgendwann musste ich Champion gestehen, dass ich ein Kalb von ihm erwartete. Irgendwann sehr, sehr bald.
Kapitel 26
Im Hafengebiet angekommen, erkannten wir, dass die Lastkräne wirklich leblos waren und uns nicht attackieren würden. Dafür war der Rest der Atmosphäre umso unheimlicher: Der Wind wehte immer stärker, und der Nachthimmel hing voller dunkler Wolken. Aber vor allen Dingen: Die Luft roch komisch und schmeckte noch merkwürdiger. Nach «Salze von die Meere», wie Giacomo uns erklärte. Was er uns dann über das «Meere», berichtete, ließ uns alle erschaudern: Dieses unendlich tiefe Wasser klang nach einem Ort, der ganz und gar nichts für Kühe war. Kaum vorstellbar, dass wir es bald überqueren mussten, um nach Indien zu kommen. Noch weniger vorstellbar war, dass wir Kühe es überhaupt überqueren konnten.
Wir erreichten einen riesengroßen Stall aus Metall. Innen drin gab es kein Stroh, keine Tröge, es gab rein gar nichts. Dieser Metallstall war komplett leer. Der Wind pfiff hindurch, und trotzdem stank er unglaublich.
«Das iste die herrlichste Geruch von die Welt!», jubelte Giacomo. «Die Geruch von die tote Fische.»
«Wenn ich das noch lange rieche», kommentierte Hilde, «bin ich gleich tote Kuhe.»
«Hier wurde einst die Fische ausgenomme», erzählte Giacomo und atmete dabei den Geruch so tief ein, als ob es sich um den Duft von frischen Wildrosen handelte.
Ich fragte ihn: «Woher kennst du dich hier so gut aus?»
«Hier ich habe anfangs gewohnte, als ich gekomme in diese Land. Hier traute sich nämlich keine Mensch rein.»
«Kein Wunder bei dem Gestank», ekelte sich Susi. «Ich will hier raus.»
Doch ich widersprach ihr: «Wenn hier kein Mensch reinkommt, dann sind wir hier sicher.»
«Mir egal, ich habe keine Lust zu ersticken», antwortete sie und wollte sich auf den Weg nach draußen machen.
«Du bleibst hier!», erklärte ich bestimmt.
«Wer ist gestorben und hat dich zum Chef gemacht?», pampte sie mich böse an.
Auf diese Frage konnte ich nur eine Antwort geben, die zutiefst traurige Wahrheit: «Alle sind gestorben. Die ganze Herde.»
Da verrauchte ihre Wut gleich wieder, und wir sahen uns betrübt an. Champion schluckte: «Wenn das so ist, bin ich fast froh, dass ich mich an nichts erinnern kann.»
Giacomo hüpfte nun zwischen unseren Beine, erklärte, dass er versuchen würde, für uns noch vor Tagesanbruch ein Schiff zu finden, denn wir durften hier am helllichten Tage nicht sein, das wäre viel zu gefährlich. Als Kühe waren wir einfach zu groß, als dass uns die Menschen auf Dauer nicht bemerken würden. Der Kater flitzte aus dem Metallstall heraus. Wir Kühe legten uns hin und kuschelten uns aneinander. Champion aber suchte sich abseits von uns einen Platz. Wie gerne hätte ich es gehabt, dass er sich zu mir gelegt hätte, ich mich bei ihm geborgen hätte fühlen können, aber dies war leider nicht möglich, er war verwirrt, müde, kaputt. Wenn hier jemand noch mehr Geborgenheit brauchte als ich, dann war er das.
Susi, Hilde und Radieschen schliefen sofort erschöpft ein, allerdings war ihr Schlaf nicht so ruhig wie noch nachts zuvor im Feld, viel zu aufregend waren die Ereignisse des Tages gewesen. Hilde mahlte mit ihren Kiefern, Radieschen wimmerte ab und zu «Hamm – hamm» im Schlaf, und Susi
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