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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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Marokko, Portugal, Tunesien und zuletzt Jugoslavien (1968) sogenannte Anwerbeabkommen. Mit ihnen wurden Massen von ‹Gastarbeitern› aus meist struktur- und einkommensschwachen Regionen zur einfachen Industriearbeit nach Deutschland geholt – nicht ohne, besonders im Falle der Türkei, auch die ökonomischen Interessen des Herkunftslandes und die politischen Interessen der Bündnispartner (USA) zu berücksichtigen, was oft verschwiegen wird. Allein über eine halbe Million Jugoslaven gingen nach 1968 nach Deutschland. Bis 1972 war ein peak von insgesamt 4 Millionen Gastarbeitern erreicht – ein Niveau, das sich aufgrund des Anwerbestopps von 1973 erst einmal stabilisierte.
    Das Ende der ziemlich grob organisierten Arbeitsimmigration war aber nicht das Ende der Zuwanderung. Die Gastarbeiter kehrten nicht nur nicht in ihre Herkunftsländer zurück, sondern nutzten jene Möglichkeiten, die ihnen nach dem Ausländergesetz von 1965 weiterhin offenstanden: Sie holten ihre Familien nach – wobei ‹Familie› in der türkischen, arabischen und balkanischen Lesart nicht wie im Deutschen etwas wie ‹Kernfamilie› bedeutete,sondern im Prinzip einen Großverband, den Clan, bezeichnete – einen weitläufigen Verbund an Menschen, der auch künftige Eheschließungen und eine Grauzone aus Verwandten und Bekannten miteinbezog. Aus der Arbeitsmigration war eine soziale Migration geworden: Familienimmigration.
    Sie dauerte von 1973 bis 1988 und wird als «restrained migration» bezeichnet. Familienzuzug, neue ethnische Eheschließungen, eine höhere Reproduktionsrate, die stetig anwachsende Zahl Asylsuchender und auch illegale Immigration sorgten dafür, dass die Zahl der Migranten auch nach 1973 stetig anstieg. «Die fehlende Integration ließ soziale Brennpunkte und Parallelgesellschaften entstehen, in denen die Kinder der Migranten aufwuchsen. Oft kamen sie aus einer anderssprachigen Welt in die öffentlichen Schulen, die nicht auf eine entsprechende Förderung eingestellt waren. (…) Identifikationsprobleme und Orientierungslosigkeit zwischen der Kultur des Herkunftslandes, das sie kaum kannten, und dem deutschen Alltag machten es vielen Jugendlichen schwer, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. So stieg in den 90er Jahren die Jugendkriminalität vor Allem unter den männlichen Migrantenkindern. (…) Anderen gelingt hingegen der Sprung in den deutschen Arbeitsmarkt oder die Selbständigkeit.» (Klingholz 2008, 13)
    Innerhalb der Nach-Gastarbeiter-Generationen finden sich viele Grade und Typen der Integration. Allgemein anerkannt ist, dass russische und polnische, serbische, albanische und asiatische Migrantenkinder insgesamt besser integriert sind als türkische und arabische Jugendliche – was mit den hohen Bildungsstandards im Sozialismus einerseits und einer Tendenz zur Abschottung auf der anderen Seite zu tun gehabt haben mag. Niemand könnte leugnen, dass das Problem des Rückzugs muslimischer Jugendlicher eine soziale Frage der Nischen, Kieze und Familien ist, aber dahinter lauert eben oft eine kulturelle, religiöse und weltanschauliche Konfliktlage, die das soziale Problem weiter befördert und oft genug zementiert.
Migration und Asyl
    Eine weitere große Migrantengruppe erschien ab etwa 1985 mit Macht auf der Bühne der deutschen Zuwanderung: die sogenannten Asylanten. Die wichtigsten politischen Gründe für diese Zuwanderungwaren «the political confusion in the former socialist states of Eastern Europe, induced by the fall of the Iron Curtain, the war in the former Yugoslavia, and the clashes between Turks and Kurds in the southeast of Turkey.» (Bauer et al. 2008, 216) Auch diese Welle hatte vielfach den Charakter von Familienzusammenführungen, denn viele Asylanten holten ihre Bekannten und Verwandten gleich mit nach. Pro Jahr wurden im folgenden Jahrzehnt mehr als 70.000 Asylanträge gestellt. Davon wird in der Regel ein Bruchteil anerkannt. Es hatte sich aber in der Praxis längst ein weiter grauer Raum gebildet, der eine Rückführung meist verhinderte, aussetzte oder streckte. Allein in den drei Jahren von 1991 bis 1994 beantragten über eine Million Menschen Asyl.
    Die politische Wende um 1989 wirkte sich auch auf die Migration aus Albanien aus. Die ersten waren Kosovo-Albaner, die um Asyl ersuchten und offenbar die Stimmung auch in Albanien beeinflussten. «Die

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