Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
Sprachmodule ausgehen.
Die positive Kraft der Mehrsprachigkeit
Die Forschung hat mittlerweile erkannt, dass das â¹Defizitâº-Bewusstsein im Generationenfortgang verschwindet und einer neuen, souveränen Art von Sprachbewusstsein und -kompetenz Platz macht. Dies nennen wir â¹doppelte Anderssprachigkeitâº. Sie kommt auch dem Erlernen weiterer Sprachen entgegen. Mehrsprachler haben einen Vorteil gegenüber Einsprachigen, und diesen Vorsprung kann man messen. Er lässt sich nachweisen als ein breiteres kommunikatives Repertoire, eine höhere Sprachsensibilität und Flexibilität, als verbesserte Arbeitsleistung des Gehirns, als höhere Sprachintelligenz und ein reiferes kulturelles Bewusstsein.[ 19 ] Interessant mag in diesem Zusammenhang sein, dass neue erfolgreiche Literaten in Deutschland oft Mehrsprachige mit Migrationshintergrund sind, z.B. Herta Müller (Rumänien), Sibylle Lewitscharoff (Bulgarien) oder Rafiq Schami (Syrien), die das einheimische Schriftstellerdeutsch ordentlich auffrischen und aufmischen.
Herkunftssprache und Migrantendeutsch bilden immer so etwas wie ein vielschichtiges Tandem unter dem Dach der MS. Die Module beider Sprachen â¹arbeiten zusammenâº, sie ergänzen sich mit der Zeit immer besser und interagieren miteinander. Bald stellt sich eine neue Perspektive auf Grammatik ein, die nicht mehr rigoros nur auf formale Richtigkeit setzt. Bei sozial intelligenten Sprechern ist Sprechen dann nicht mehr â¹Fehlervermeidungs-Strategieâº, die auf eine exakte Richtigkeit zielt. Es wird zu einem kreativen Ereignis, das offen ist für Varianten und flexible Satzgestaltung.
Zwanglos kann man annehmen, dass Mehrsprachigkeit immer die Aufmerksamkeit des sprachlichen â¹Monitors⺠von der Standardgrammatik abzieht. Gleichzeitig erhalten der Kontext und die Situation ein viel gröÃeres Gewicht. Was sich in der Folge einstellen kann, sind grammatische Reduktionen, Formenabbau und sprachliche Kompromiss-Strukturen, die weder der einen noch der anderen Sprache genau entsprechen müssen, sondern sich ineiner Zwischenzone bewegen. Der Abbau der deutschen Kasus wäre ein treffendes Beispiel für diese Bewegungen.
Dies ist eine sehr wichtige Erkenntnis für die Erklärung der aktuellen Veränderungen im Deutschen, weil es die Sprachverfall-Debatten überflüssig macht.
Wir halten vorerst fest:
Mehrsprachigkeiten einer neuen, multiplen Art gehören inzwischen zu Deutschland. Das mehrsprachige Gehirn entwickelt ein verändertes Sprachbewusstsein, das nicht mehr auf die absolute Geltung eines Sprachsystems abgestellt ist. Es ist offen für viele Anpassungen der Grammatik, die sich durch kommunikative Notwendigkeiten ergeben. Es ist eingestellt auf Kontext und Situation und auf die Kombination mehrerer Sprachen. Der kognitive Vorteil ist eine wichtige Voraussetzung auch für ein neues kulturelles Bewusstsein.
4. SPRACHTYPEN UND SPRACHFAMILIEN
Migrantensprachen im Sinne dieses Buches sind Türkisch, Arabisch, Russisch, Jugoslavisch, Albanisch, Polnisch und einige andere, die aber nicht so deutlich in Erscheinung treten, z.B. Italienisch oder Armenisch. Das Wort vom Clash of Languages bedeutet auch, dass die Migrantensprachen von ihrer Anlage her weit vom Deutschen und auch voneinander entfernt sein können. Nicht nur geographisch, sondern auch linguistisch-sprachlich. Dies gilt extrem für Türkisch und Arabisch, etwas weniger für die anderen Sprachen. Mit â¹weit entfernt⺠sind zwei Dinge gemeint, die in der Allgemeinen Sprachwissenschaft eine groÃe Rolle spielen und sich in der Sprachsituation, in der sich das Deutsche befindet, ganz erheblich auswirken:
Die Migrantensprachen gehören verschiedenen Sprachtypen an.
Die Migrantensprachen gehören verschiedenen Sprachfamilien an.
Wenn man dem Sprachkontakt dieser Sprachen mit dem Deutschen wirklich näher kommen will und vor allem den Auswirkungen, die sie auf das Deutsche haben, muss man diese beiden Punkte kurz beleuchten. Natürlich ist es unmöglich, hier in linguistische Tiefen hinabzusteigen, die Literatur dazu ist immens und nahezuunübersehbar. Aber ohne ein paar Grundtatsachen können die neuen Veränderungen im Deutschen nicht wirklich verstanden werden. Denn es ist etwas anderes, wenn, sagen wir, Italienisch und Deutsch aufeinandertreffen, als wenn es Türkisch oder Arabisch sind. Denn je exotischer der Kontakt, umso heftiger
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