Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
Vom Netzwerk:
werden die Auswirkungen sein.
Welchem Sprachtyp gehören die Migrantensprachen an?
    Mittlerweile setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Sprachtypus ein wichtiger Schlüssel für ausländische Deutschlerner sein kann: Russen, Türken oder Chinesen haben nicht nur einen anderen Zugang zum Deutschen, sondern machen auch andere Fehler – ein weites, neues Feld für den Komplex ‹Deutsch als Fremdsprache› (DaF) (Leontiy 2013).
    Mit den Sprachtypen befasst sich seit jeher die Klassische Sprachtypologie, die mit großen Namen wie August Schlegel, Wilhelm von Humboldt oder Roman Jakobson verbunden ist. Sie ist im Prinzip noch heute gültig und unterscheidet in ihrer einfachsten Form (die hier genügen muss) vier große Sprachtypen in der Welt. Drei von ihnen haben für Migration und Sprachwandel in Deutschland unmittelbar Bedeutung: der flektierende Typ (z.B. Russisch), der agglutinierende Typ (z.B. Türkisch) und der isolierende Typ (z.B. Chinesisch). Der für Europa charakteristische Sprachtyp ist der flektierende Typ.
Der flektierende Typ: z.B. Russisch
    Flektierende Sprachen drücken ihre Grammatik im Prinzip direkt am Wort aus, meistens hinten, z.B. durch Endungen: Das Russische und das Jugoslavische, aber auch das Deutsche, gehören dazu, sowie viele weitere Sprachen in Osteuropa wie z.B. das Polnische oder das Litauische. Weil ein Großteil der Grammatik mit dem Grundwort direkt zusammengeschlossen ist, nennt man diese Sprachen auch flektierend- synthetisch . Musterbeispiele für dieses Prinzip sind die Fälle wie in russisch čelovek ‹der Mensch›, čeloveka ‹des Menschen›, čeloveku ‹dem Menschen›, die Steigerung wie in jugoslavisch brzo ‹schnell›/ brže ‹schneller› oder manche Verbzeiten wie polnisch napiszę ‹ich werde schreiben› oder napisałem ‹ich habe geschrieben› – Formen, die alle aus nur einem einzigen Wort bestehen.
    Aus einer mehr universalen Perspektive sind flektierende Sprachen mit ihren Endungen jedoch oft zu ökonomisch oder aber zu unökonomisch:
    Eine Endung kann gleich mehrere Bedeutungen tragen: Die Endung - es in des Haus es gibt z.B. Auskunft über Kasus (Genitiv), Genus (Neutrum) und Numerus (Singular).
    Auf der anderen Seite wird aber ein und dieselbe Bedeutung oft gleich mehrfach ausgedrückt (das andere Extrem), z.B. dreimal der Kasus Genitiv in d es schönen Haus es . Zwischen den einzelnen Formen herrscht ‹Kongruenz›: Die formale Übereinstimmung muss (im Standard und im Schriftdeutsch) in allen Gliedern der Wortgruppe eingehalten werden. Das sichert den Zusammenhalt des Satzes, schleppt aber eine gewisse Redundanz mit. In intensivem Sprachkontakt werden beide Prinzipien abgeschliffen, was viele neue Züge des Deutschen erklärt:
    Was zu ökonomisch ist, wird mit einer maßvollen Redundanz versehen: Aus gemäßigter wird mehr gemäßigt .
    Was zu unökonomisch, zu redundant ist, wird eingeebnet: Aus mit dies em Nachbar n wird mit dies en Nachbar Ø .
    Der flektierende Sprachtypus ist in Europa sehr alt – schon die Schulsprachen Lateinisch und Altgriechisch gehören dazu. Viele wird verwundern, dass auch das Arabische, allerdings mit Einschränkungen, zu diesem Typ gerechnet wird: Es wandelt hauptsächlich die Wortwurzel ab (‹innere Flexion›): kitāb ‹Buch›, kātib ‹Schriftsteller›, maktāb ‹Büro›, katabtu ‹ich schrieb› usw.
Ein Ableger des flektierenden Typs
    Im Laufe der Zeit hat sich in Europa aus dem flektierenden Grundtypus noch ein Ableger entwickelt. In den west europäischen Sprachen, den romanischen, aber auch den germanischen Sprachen, werden Teile der Grammatik im Prinzip nun nicht mehr nur direkt hinten am Wort ausgedrückt, sondern dies kann jetzt auch vor dem Wort geschehen: durch Präpositionen. Da diese nicht mehr direkt mit dem Wort zusammenhängen, nennt man diesen Typus auch ‹flektierend- analytisch ›. Dieser Typ hat sich in Europa ziemlich spät entwickelt, nämlich erst lange nach der Zeitenwende, als Europa seinen kulturellen Schwerpunkt nach Norden und Westen verlagerte und die Volkssprachen langsam ihren Tribut forderten. Solche Sprachen sind z.B. Französischund Italienisch, Schwedisch und Niederländisch. Musterbeispiele dafür sind die Kasus wie in

Weitere Kostenlose Bücher