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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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französisch de la maison/ à la maison , die Steigerung wie in italienisch piu forte ‹stärker› oder manche Verbformen wie in englisch I have written . Das Englische hat diesen Typ am weitesten, ja ins Extrem weiterentwickelt, sodass es heute kaum noch irgendwelche Endungen aufweist.
    Zu dieser Variante des flektierenden Sprachtyps gehören überraschenderweise auch das Bulgarische, das Makedonische und mit Einschränkungen das Rumänische – alles neue Migrantensprachen. Flektierend-synthetische Sprachen sind demnach älter und eher konservativ, flektierend-analytische jünger und progressiv. Europas Sprachen bewegen sich alle im Prinzip vom ersten Typ weg in Richtung auf Typ 2.[ 20 ] Das Deutsche befindet sich mit seinen aktuellen Sprachwandel-Tendenzen also in bester Gesellschaft.
Der agglutinierende Typ: z.B. Türkisch
    Der agglutinierende Typ ist in Deutschland und Europa vertreten durch das Türkische. In den Turksprachen werden die grammatischen Bedeutungen eine nach der anderen hinten an eine Wortwurzel ‹angeklebt› (von lateinisch agglutinare ‹ankleben›). Dabei hat jede Silbe immer nur eine einzige Bedeutung und deshalb kann das Wort einen sehr großen Umfang annehmen – je nachdem, wie viele Bedeutungen ausgedrückt werden müssen. So kann man durchaus sagen, dass der schiere Umfang türkischer Wörter die Menge der Bedeutungen sozusagen gleich optisch anzeigt und sogar einen ganzen deutschen Satz vertreten kann. Dabei ist die Reihenfolge der Silben streng festgelegt: ev-ler-imiz-de ‹Haus-Plural-unser-in› = ‹in unseren Häusern›. Für eine grammatische Kategorie gibt es deshalb im Prinzip nur einen Anzeiger, also 1 : 1, z.B. ler/lar für Plural: ev- ler ‹die Häuser›, -de für Ort: Türkiye’ de ‹in der Türkei›, -miş für Vergangenheit: gel miş ‹gekommen› usw. Später werden wir die Tendenz, dass eine Kategorie möglichst sparsam ausgedrückt wird, das ‹kreolische Prinzip› nennen. Es wirkt auch im Neudeutschen und kommt z.B. dadurch zum Ausdruck, dass immer mehr Grammatik abgebaut wird.
    Agglutinierende Sprachen weisen oft eine Vokalharmonie auf, also ähnliche Vokale in den Silben, weil das die Produktion unddas Verständnis von langen Wörtern erleichtert. Viele Sprachen dieses Typs sind vom flektierenden Sprachtyp auch dadurch entfernt, dass sie ‹typisch europäische› Kategorien oft gar nicht aufweisen: So hat das Türkische z.B. keinen Artikel, kein grammatisches Geschlecht und vermeidet Nebensätze mit Konjunktionen, wie wir sie kennen – für den Kontakt mit dem Deutschen außerordentlich wichtige Dinge.
Der isolierende Typ: z.B. Chinesisch
    Der isolierende Typ ist in Ostasien am weitesten verbreitet. Das Chinesische verkörpert ihn sozusagen in Reinkultur. Wörter haben im Prinzip nur eine einzige Form, oft sogar nur eine einzige Silbe, die aber in verschiedenen Tonhöhen vorkommen kann und dann andere Bedeutungen annimmt. So kann die Silbe/MA/je nach Ton ‹Mutter›, ‹Pferd›, ‹schimpfen› und auch noch anderes bedeuten. Eine Grammatik in unserem europäischen Sinne mit Ketten aus Kasus und Endungen existiert nicht. Unter den aktuellen Migrantensprachen in Deutschland finden sich zwar keine des isolierenden Typs (wollte man nicht Chinesisch, Vietnamesisch oder Thai als Migrantensprachen verbuchen, was wir hier nicht tun werden). Festhalten muss man aber, dass isolierende Sprachen keine Übereinstimmungen (‹Kongruenz›) der Satzteile kennen. Sie verbinden die Wörter nicht, sondern lassen sie einfach lose nebeneinander stehen: zhōng huá rén mín ‹Mitte China Mensch Volk› = ‹das chinesische Volk›.[ 21 ] Wir werden sehen, dass dieser ‹isolierende Zug› eine große Bedeutung für den Wandel des Deutschen erhält, z.B. durch den langsamen Abbau vieler grammatischer Übereinstimmungen zwischen den Wörtern. Nur kommt dieser Impuls eben nicht aus exotischen Fremdsprachen, sondern ergibt sich aus dem mehrsprachigen Sprachkontakt. Viele Sprachen dieses Typs sind von ‹unserem› flektierenden Typ ebenfalls dadurch entfernt, dass sie gängige Kategorien oft nicht aufweisen, z.B. klar voneinander abgegrenzte Wortarten wie Substantiv und Verb oder komplexe Wörter wie Arbeitsamt etc.
    Keiner dieser drei Typen

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