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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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Unbedingt beachtet werden muss aber, dass die klassischen Kasus-Endungen in der gesprochenen Sprache gar keine besondere Rolle spielen , zumal sie am Wortende stehen und oft gar nicht ausgesprochen werden.
    Zumindest für das gesprochene Arabische gilt, dass die Beziehungen im Satz eher durch die Wortstellung und den Kontext angezeigt werden: Arabisch ist also heimlich viel weniger ‹flektierend›, als es die hochsprachliche Norm zulässt – eine frappierende Parallele zum Neudeutschen. «Am Ende eines Satzes fällt im Hocharabischen die Vokalendung meist weg. Man nennt dieseForm ‹Pausalform›. Nun werden aber die drei Fälle gerade durch diese Endungen ausgedrückt, die bei einer Sprechpause oft wegfallen. Deshalb benutzen viele Sprecher, wenn sie modernes Hocharabisch sprechen, sehr häufig diese ‹Pausalform› und ersparen sich so einen Teil der komplizierten Grammatik.»[ 12 ] Denn: «Das aus der Grundsprache ererbte System von drei Kasus (Nominativ, Genitiv, Akkusativ) ist im Neo-Arabischen vollständig abgebaut worden.»[ 13 ] Für den Sprachkontakt mit dem Deutschen ist dies so wichtig, dass wir es in einer Passage festhalten:
    Â«In den verschiedenen Umgangssprachen gibt es keine Fälle, die Bedeutung der Wörter im Satz wird allein durch die Wortstellung und durch den Kontext erschlossen, so wie im Englischen. Allerdings werden in der Hochsprache (also in der Schriftsprache) drei verschiedene Fälle unterschieden, die durch hinten am Wort angehängte Kurzvokale bezeichnet werden. Da Kurzvokale nicht geschrieben werden, sind auch die Fallendungen meist nicht in der Schrift ersichtlich. Daher beherrschen arabische Muttersprachler die Fallendungen nur sehr schlecht. Wenn schriftsprachliche Texte gelesen oder vorgetragen werden, lässt man die Endungen meist weg, was jedoch keinen Einfluss auf die Verständlichkeit hat und auch nicht als inkorrekt empfunden wird. Es (…) ist zu erwarten, dass Deutschlernende generell mit der Unterscheidung der Fälle Probleme haben.» (Sprachensteckbrief Arabisch ; Hervorhebg. U. H.)
    Weshalb sollte ein junger Araber, der zuhause Arabisch spricht und draußen Deutsch lernt, auf die deutschen Kasus und die Endungen besonders achtgeben? Er wird es nicht tun, zumal er bald bemerken wird, dass auch die deutschen Muttersprachler (und die Mitschüler) die Fälle oft falsch gebrauchen: So verstärken sich beide Seiten gegenseitig. Korrekte Kasus sind im Sprachkontakt ohne Zweifel out, und niemand achtet groß darauf, ob hier die Form nun genau stimmt oder nicht. Es wäre unökonomisch.
Arabische Präpositionen
    Wir werden im vierten Kapitel sehen, wie sehr sich die deutschen Präpositionen in Bewegung befinden. Wie sieht es nun im Arabischen mit Präpositionen genau aus? Hier gibt es erst einmal Entwarnung. Das Arabische hat wie das Deutsche eine MengePräpositionen, ja die am meisten gebrauchten Wörter im Sprech-Arabisch sind sogar Präpositionen, wie kürzlich eine Studie der Universität Riad herausgefunden hat: fÄ« ‹in›, min ‹aus›, ‘alā ‹auf›, fi l-bayt ‹in dem Haus› u.v.a. Damit ergibt sich schon mal ein ziemlich einfaches Grundmuster aus Präposition und Nomen, das dem europäischen Modell ähnelt, nicht jedoch dem türkischen. Das Arabische stellt also – genau wie das Englische – für den Ausdruck von syntaktischen Beziehungen ein Idealmuster aus Präposition und Nomen zur Verfügung. Da die Kasus schwächeln, werden die Präpositionen umso stärker im Bewusstsein verankert sein. Der neudeutsche Drall zur Präposition findet also im Arabischen oder im arabischen Migrantendeutsch einen strukturellen Unterstützer. Und das ist noch nicht alles:
    Alle arabischen Präpositionen stehen mit demselben Kasus, dem Genitiv. In Abschnitt 21 werden wir sehen, dass sich die meisten deutschen Präpositionen zur Zeit in Richtung auf Akkusativ bewegen. Eine fiktive Testreihe unter arabischen (und anderen) Jugendlichen würde mit Sicherheit ergeben, dass die Kasus nach den meisten deutschen Präpositionen entweder unkenntlich sind oder immer ungefähr die gleiche Form annehmen, nämlich die des Akkusativs: Man würde im arabischen Migrantendeutsch also vor allem hören mit den Bruder, aus den Land, vor den Haus, von den Bier, wegen die Schwester, nach die Mutter – also eine neue einfache

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