Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
Vom Netzwerk:
Form, die auch schon unüberhörbar in die deutsche Umgangssprache Einzug gehalten hat. Die Lage im gesprochenen Arabischen – immer derselbe Kasus (oder gar keiner) nach Präpositionen – modelliert also in Umrissen gewisse Tendenzen, wie sie auch in der deutschen Umgangssprache seit einiger Zeit immer mehr um sich greifen. Dieses Szenario wird weiter unterstützt durch den arabischen Artikel.
Der arabische Artikel
    Der Artikel ist so etwas wie das internationale Erkennungszeichen des Arabischen, in Wort und mehr noch in der Schrift: al-mudarris ‹der Lehrer›. AL ist unveränderlich, es heißt für alle Anwendungen immer nur AL : al-mudarrisÅ«n ‹die Lehrer›, al-bint ‹das Mädchen›, al-bayt al-mudarris ‹das Haus des Lehrers› usw. In der gesprochenen Sprache aber (und nur hier!) kann sich AL auch an sein Nomen anpassen und verblasst dann immer mehr: Es heißtdann a n -nahr ‹der Fluss›, a s -safÄ«r ‹der Botschafter›, a Å¡ -Å¡ams ‹die Sonne›, a r -raÅ¡Ä«d ‹der Weise›. Geschrieben wird aber immer al . Dies geht nur etwa bei der Hälfte der Konsonanten-Buchstaben, die lyrisch ‹Sonnenbuchstaben› heißen, weil sie mit dem Artikel ‹verschmelzen›; es geht nicht bei den harten ‹Mondbuchstaben› wie m oder q , wo al immer unverändert bleibt: al-miá¹£r ‹Ägypten›, al-qāhira ‹Kairo›.
    Tritt ein Adjektiv an das Substantiv, wird es nachgestellt und gegebenenfalls durch Artikel verbunden: al-luÄ¡a ăl-‘arabÄ«ya ‹die Sprache die arabische› = ‹die arabische Sprache›.
    Wird sich ein arabischer Deutschlerner viel Mühe um den richtigen deutschen Artikel machen (zumal für ihn nicht erkennbar ist, wie die exakte Artikelwahl funktioniert)? Warum sollte er? Sein Artikel-Bewusstsein ist eingestellt auf Einheitsartikel und Verschleifung, und zwar sowohl beim Artikel selbst als auch beim folgenden Kasus, der in der Rede auch noch verschluckt wird.
Zum arabischen Verb
    Der eigentlich komplizierte Bereich der Grammatik ist das arabische Verb, die Vielfalt der Verbformen und der daraus abgeleiteten Wortarten wie Adverbien oder Partizipien. Unmöglich, hier auch nur einen Überblick zu geben. Es gibt viele komplizierte Formen für alle drei Zeitstufen und wir müssen sie hier nicht durchdeklinieren. Eine Auswahl mag aber die Vielfalt andeuten. Von der Wurzel KTB ‹schreiben› werden z.B. gebildet: yaktubu ‹er schreibt›; kāna yaktubu ‹er pflegte zu schreiben›; kataba ‹er schrieb›; kāna qad kataba ‹er hatte geschrieben›; sa-yaktubu/saufa yaktubu ‹er wird schreiben›; yakÅ«nu qad kataba ‹er wird geschrieben haben› usw.[ 14 ] Viele Formen werden ohnehin nur im geschriebenen Arabisch gebraucht.
    All das spricht dafür, dass das arabische Sprachbewusstsein auf VERB eingestellt ist. Dies kommt nicht nur in den Formen, sondern auch in der Wortfolge zum Ausdruck: Arabisch gehört zu den ‹VSO-Sprachen› und der arabische Satz beginnt in der Regel mit dem Verb:

    In der Welt ist diese Wortfolge seltener und eher in exotischen Sprachen verbreitet:[ 15 ] In Europa weisen nur noch Randsprachen wie Walisisch diese Anordnung auf, in der arabischen Zone noch die Berbersprachen im Westen Nordafrikas. Möglich, dass sie vor allem mündlich, also auch durch Sprachkontakt bedingt ist. Wenn sie in anderen Sprachen vorkommt, ist sie jedenfalls immer mündlich gefärbt, so auch im Deutschen:
    â€“ Gemacht hab ich eigentlich noch gar nix heut.
    Ausgeprägt kehrt diese Anordnung im ‹Kiezdeutsch› wieder (Abschnitt 20).
Das Modell Ich will, dass ich schreibe.
    Wirklich einzigartig ist die Möglichkeit des Arabischen, Sätze wie ich will schreiben, er muss warten etc. auf eine Art auszudrücken, die sonst in Europa nur noch auf dem Balkan verbreitet ist, nämlich nach dem Muster: ICH WILL, DASS ICH SCHREIBE, d.h. der Infinitiv wird ersetzt durch eine feste Wendung:

    Da dieses Phänomen weltweit wirklich außerordentlich selten vorkommt, lohnt es sich, hier festzuhalten, dass es auch die Balkansprachen, das Persische und das Kurdische kennen, also relativ viele Migrantensprachen. Deshalb wären eigentlich deutliche Spuren im Deutschen zu erwarten. Das ist aber, soweit zu sehen,nicht der Fall, auch nicht im Migrantendeutsch.

Weitere Kostenlose Bücher