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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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bosnischen Kroaten ist es auch die Bezeichnung für das Jugoslavische der muslimischen Bosnier oder ‹Bosniaken› ( bošnjački jezik ). Die Bevölkerung – und besonders die Migranten – schert sich jedoch immer weniger um solche Spitzfindigkeiten. Bosnisch ist beides, e - und auch je -Aussprache, und es vereinigt auch sonst viele Züge, die woanders einseitig polarisiert werden. Es ist, nicht nur grammatisch, ein tolerantes Jugoslavisch – ein schönes Wort. Sein akustisches Erkennungszeichen ist der ‹orientalisch› anmutende Laut h in vielen Wörtern wie mer h aba ‹guten Tag›, ka h va ‹Kaffee›, la h ko ‹leicht›. Türkische Fremdwörter haben hier weder den negativen Beigeschmack wie oft im Serbischen, noch sind sie verpönt wie bei den Kroaten: avaz ‹Stimme›; merak ‹Vergnügen› muštulluk ‹gute Nachricht›; haber ‹Mitteilung›; akšam ‹Abenddämmerung›; sabahile ‹Morgen›; bašća ‹Garten›; ćeif ‹Lust, Gefallen›; rahatluk ‹Zufriedenheit›; šehid ‹Held›, ‹Märtyrer›.
    Hier zählt auch die muslimische Religion mit ( dženaza ‹Bestattung›, ahiret ‹Jenseits›, džennet ‹Paradies›). Genau zu beschreiben, welche Variante des Jugoslavischen nun wo genau gesprochen wird (und wie die tatsächliche Praxis dann aussieht), käme der Aufgabe gleich, ein Tigerfell exakt zu kartographieren, und wir unternehmen diesen Versuch hier nicht. Unter den Migranten jedenfalls sind Sprecher aller drei ‹Sprachen› zu finden, und sie sprechen untereinander wie mit einer Sprache.
Sprachpolitik und Sprachtyp
    Zur Zeit werden in der Slavistik in großen Projekten die sprachlichen Unterschiede zwischen den drei neuen ‹Sprachen› herausgearbeitet und in mehrbändigen Serien durchdekliniert. Sie sind die linguistische Munition im Kalten Krieg der Sprachpolitik. Deshalb kann es nicht vollkommen falsch sein, wenn wir dem legitimen Informationsbedürfnis der Migrationslinguistik wenigstens in den Grundzügen nachkommen und auch kurz auf die ‹Unterschiede› zwischen den ‹Sprachen› hinweisen – ohne sie deswegen allzu groß erscheinen zu lassen. Für die jugoslavisch-deutsche Zweisprachigkeit ist es im Prinzip unerheblich, ob der Sprecher ethnischer Serbe, Kroate oder Bosnier ist, ob er Jugoslavisch mit serbischer, kroatischer oder bosnischer Einfärbung spricht, ob er katholisch, orthodox oder muslimisch ist.
    Die Sprachenpolitik aller drei Länder hat ganz auf Nation, Abstand und Differenz umgestellt, wobei es aber Unterschiede gibt: So sind Reinhaltungs-Tendenzen in Kroatien am deutlichsten, Offenheit gegenüber Internationalisierung in Serbien am klarsten, eine sympathische Art praktischer Toleranz in Bosnien am stärksten ausgeprägt. Alle drei ‹Sprachen› konstruieren zur Geschichte auch eine lange eigene Sprachgeschichte, oft bis hinauf zum Altslavischen des 9. Jahrhunderts; alle drei streben danach, in einer großen Erzählung die Heraufkunft ‹ihrer› Sprache zu konstruieren – womöglich mit einem Blick auf zukünftige Perspektiven in Europa.
    Das Jugoslavische ist, wie das Bulgarische und Makedonische, eine südslavische Sprache und gehört mit dem Slovenischen dem westlichen Zweig an. Das bedeutet, dass es linguistisch nicht zu den Balkansprachen gehört (Abschnitt 11), wie man öfter in den Feuilletons lesen kann. Trotzdem gibt es im Serbischen und auch im Bosnischen einige ‹Balkanismen›. Dies alles kommt, wo es nötig ist, zur Sprache. Eines muss man aber festhalten: Die südserbischen Dialekte in Richtung Bulgarien und Mazedonien sind fast vollständig balkanisiert. Sie haben nur noch einen Allzweck-Kasus, kaum Endungen und weichen in vielem von der Hochsprache ab. Viele Gastarbeiter kamen, viele neue Migranten kommen von hier: Ihre Sprache und ihre Zweisprachigkeit können das Deutsche stark beeinflussen.
    Das Jugoslavische als Ganzes gehört aber dem flektierenden Sprachtyp an – wie auch das Russische oder Polnische. In dieser Hinsicht bleibt es konservativ und ‹typisch osteuropäisch›; es ist der letzte Ausläufer des ‹Kasus-Areals› nach Süden. Es hat tatsächlich sechs voll ausgebildete Kasus: Nominativ kuća ‹Haus›, Genitiv

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