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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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daj mi hleb a ‹gib mir (etwas) Brot› oder tri mesec a ‹drei Monate› (Genitiv); kuća mi ‹Haus mir› (Dativ) = ‹mein Haus›; video sam Petra ‹ich habe den Petar gesehen› (Akkusativ im Gewande des Genitivs), idem voz om (Instrumental) ‹ich fahre mit dem Zug›, deklaracija o pravima (Präpositiv) ‹Deklaration der Rechte›. Sogar der Vokativ ist lebendig ( Ivan e ! Vesn o !), und die persönliche Anrede prägt jedes Gespräch mit (im Gegensatz zum Deutschen).
    Das Adjektiv steigert noch nach dem alteuropäischen Muster: tvrd ‹hart›, tvrđi ‹härter›, jak ‹stark› jači ‹stärker›, dobar ‹gut›, bolji ‹besser›, dann weiter najtvrđi ‹härtester› usw. Die neu-europäische Steigerung mit MEHR (Muster: englisch more interesting ) steckt zwar noch in den Kinderschuhen, ist aber im Kommen: viÅ¡e fer ‹fairer›, viÅ¡e srpski ‹serbischer›, viÅ¡e interesantan ‹interessanter›.Besonders das Sprachgefühl von Migranten der zweiten und dritten Generation ist bereits auf den neuen Typus mit MEHR eingestellt und entfernt sich auch sonst von der strengen Grammatik der Hochsprache.
Zum jugoslavischen Verb
    Das jugoslavische Verb gebraucht – ähnlich wie das Deutsche – fast nur noch eine Zeitform für die gesamte Vergangenheit, das ‹Perfekt›: ja sam napisao ‹ich habe geschrieben›/ ona je odgovorila ‹sie hat geantwortet›. Alle anderen Zeiten sind schon länger auf dem Rückzug und wirken heute antiquiert.
    Einen uneingeschränkten Infinitiv nach europäischem Muster gibt es nur im Kroatischen, und hier beginnen sich die neuen ‹Sprachen› und ihre Geister schon zu scheiden. Im Kroatischen völlig lebendig, wird er im Serbischen fast immer ersetzt (‹Balkanismus›): Kroatisch ja moram pričati sa Anom ‹ich muss mit Anna sprechen› ist serbisch ja moram da pričam sa Anom . Beide Sätze wären in der jeweils anderen ‹Sprache› nicht nur falsch, sondern werden auch als ‹typisch serbisch/kroatisch› identifiziert. Im toleranten Bosnischen sind beide Varianten möglich.
Zum Satzbau
    Im Jugoslavischen steht das Verb, wie im Deutschen auch, in der Mitte:
    â€“ On je pio čaÅ¡u vina ‹er trank ein Glas Wein›.
    Es gehört also offiziell zu den sogenannten SVO-Sprachen, ist aber sonst flexibel, eben weil es viele Endungen hat, die ein Satzglied genau definieren. Besonders in der gesprochenen Sprache fällt das Subjektspronomen oft weg und das Verb kommt dann an den Anfang (sogenanntes ‹Pro-drop›):
    â€“ _ Pio je čaÅ¡u vina ‹ _ hat getrunken ein Glas Wein›.
    Typisch ist die Fülle an kleinen Wörtchen, die selber keinen Akzent haben, aber jeden jugoslavischen Satz prägen. Es sind die Pronomen für ich, du, er , die Kopula IST u.a. Wendungen wie čekao sam ga ‹ich habe auf ihn gewartet›/ video ju je ‹er hat sie gesehen›/ dao si joj ga ‹du hast es ihr gegeben› etc. sind also nichts Ungewöhnliches, sondern vollkommen normal: Das Sprachbewusstsein jugoslavischer Migranten ist auf Partikeln eingestellt.
Jugoslavische Umgangssprache
    Migranten sprechen untereinander vorzugsweise ihre Umgangssprache und weichen hier (wie die Russen, aber nicht so stark) oft von der hohen Norm ab. Alle Jugoslaven sprechen im Prinzip dieselbe Umgangssprache; die offiziellen ‹Unterschiede› haben hier immer weniger Bedeutung. Auffällig ist aber, dass sie angefüllt ist von kleinen Wörtchen, die die Rede emotional am Laufen halten (s.o.) – sie sind das Öl in der Gesprächsmaschine:
    â€“ Jel’ tebi Å¡alje … ovaj … jeli , Bojana, pa tebi Å¡alje Olga garderobu, mislim?
    Also dir schickt, ähm , Bojana, also schickt dir Olga Kleidung, denk’ ich ?
    Der ‹Jugoslang› quillt über von solchen Partikelchen, die alle irgendwie dem emphatischen Miteinander dienen: Besonders ausgeprägt sind Interjektionen und Lückenfüller wie boga mi ‹mein Gott›, jeli ‹nicht wahr›, majke mi ‹bei meiner Mutter›, ovo-ono ‹dies und das›, Å¡ta ja znam ‹was weiß ich›, znaÅ¡ ‹weißt du›, die jeder Sprecher sofort wiedererkennt. Und nicht selten sind auch ‹obszöne›

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