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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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Heimatdialekt zur ersten jugoslavischen Standardsprache machte. Ab 1830 betrieben auch die Kroaten eine Sprachreform und setzten eine überregionale Schriftsprache durch, die sich von den Dialekten emanzipiert hatte. Damit war die Tür offen für die berühmte «Wiener Schriftsprachen-Vereinbarung» von 1850, die zu einer jugoslavischen Einheitssprache im Sinne Karadžićs führte und ab 1860 in Serbien, Kroatien und Bosnien auch realisiert wurde. In den jugoslavischen Ländern galt dieses ‹Serbokroatisch› zunächst verbindlich als gemeinsame Standardsprache. Bald taten sich jedoch unüberbrückbare Differenzenzwischen der serbischen und kroatischen Seite auf, die zur Zeit des faschistischen Kroatischen Staates 1941–44 endgültig zum Bruch und zur Abspaltung des Kroatischen vom Serbischen führten.
    Tito-Jugoslavien kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg aus politischen Gründen nominell zum ‹Serbokroatischen› zurück und ermöglichte damit das zweite große Sprachabkommen – das von Novi Sad 1954. Hier wurde festgelegt, dass es sich beim Serbokroatischen um eine Sprache in mehreren ‹Existenzformen› handelte: mit der Belgrader und der Zagreber Variante einerseits und dem Bosnischen und dem Montenegrinischen als – reichlich herablassend formuliert – ‹standardsprachlichen Ausdrücken› andererseits. Im sozialistischen Jugoslavien kristallisierte sich in der Politik aber eine stillschweigende Dominanz des Serbischen heraus, was den alten kroatischen Komplex und die Unsichtbarkeit des Bosnischen weiter schürte und die Bereitschaft zur Abspaltung am Leben erhielt. Um 1967 drängten kroatische Linguisten darauf, die Unterschiede zum Serbischen herauszustellen und ihre eigene Sprache zu ‹rekroatisieren›. Nach Titos Tod 1980 mündete «diese vehement nationalistische Konfrontation […] auch in kriegerische Konflikte, die nicht nur das Zweite Jugoslavien, sondern auch Idee und Realität einer gemeinsamen serbokroatischen Standardsprache zerstörten.» (Rehder 2002, 470)
Eine kurze Grammatik des Jugoslavischen
    Der jugoslavische Höreindruck ist ganz und gar ungewöhnlich. Die Sprache ist eine Ton-Insel im Meer der europäischen Normalbetonung: Sie hat einen sogenannten musikalischen Akzent, unterscheidet also (wie Chinesisch) Töne, Tonhöhen und Tonverläufe. Es gibt vier verschiedene Töne und jeder Vokal kann diesen Akzent tragen. Er kann lang-ansteigend sein wie in r a a diti ‹arbeiten›; lang-abfallend wie in gr a a d ‹Stadt›; kurz-fallend wie in s a da ‹jetzt›; kurz-steigend wie in ž e na ‹Frau›. Manchmal bezeichnet man diese Akzente auch extra: ráditi, grâd, sda, žèna . Die Töne strahlen sogar auf die nachfolgenden Silben aus, die dann noch höher ( rád i t i ) oder noch tiefer ( s a d a ) klingen können. Deutsche Ohren können klar den lang-steigenden Akzent eindeutig heraushören, den viele Migranten auch ins Deutsche übertragen: ságen ; lében .
    Das Jugoslavische hat lange und kurze Vokale und ist damit nahe am Deutschen. Es gibt aber eine Handvoll typischer Konsonanten, die dem Deutschen mehr oder weniger fremd sind:
Buchstabe
Lautung
ć
kuća ‹Haus›
weiches tsch wie in tja
č
čoban ‹Hirt›
hartes tsch wie in Matsch
đ
đavol ‹Teufel›
weiches d-j, ähnl. russisch deti ‹Kinder›
dž
džamija ‹Moschee›
wie Dschungel
ž
žut ‹gelb›
wie französisch. journal
lj
ljubav ‹Liebe›
weiches l, ähnl. wie russisch lëd ‹Eis›
nj
njega ‹ihn›
weiches n, ähnl. wie polnisch Toruń
‹eine Stadt›
    Vom Deutschen abweichend behalten Konsonanten am Wortende den Stimmton: ljuba v ‹Liebe›, du g ‹lang›, zi d ‹Wand›. Heraus klingt auch ein seltener r -Laut, der wie ein Vokal funktioniert und die berüchtigten Zungenbrecher erzeugt wie K r k ‹eine Insel›, t r g ‹Marktplatz› oder s r ce ‹Herz›. Er gibt den Wörtern etwas Knarrend-Abgehacktes, zumal er auch noch gerollt wird: K rrr k .
Der Bau der Wörter
    Das Jugoslavische ist, wie auch das Russische oder Deutsche, eine Kasussprache, die ihre Fälle auch für besondere Funktionen ausnutzt. Dies sind slavische Spezialitäten, die aber durchaus aufs Deutsche durchschlagen können:

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