Mum@work: Roman
Pseudo-Randolph vom Hamburger Flughafen abgeholt. Unsere Firmenlimousine kommt kaum durch die Menschenmassen in der Auffahrt zum CCH. Während der Fahrt vom Flughafen zum Kongresszentrum habe ich versucht, die Intelligenz unseres Doubles zu testen - doch leider vergeblich. Er nimmt sein Redeverbot sehr ernst und starrt einfach vor sich hin. Vielleicht steht er unter Drogen? Vielleicht will er nur sein Geld, denn seine Gage für einen Tag Schweigen in Deutschland dürfte an das Jahresgehalt eines Better-Media-Callcenter-Kollegen locker heranreichen.
Dass das Double vor sich hin starrt, vermute ich zumindest, denn er trägt natürlich die dunkle Sonnenbrille - das Markenzeichen von Randolph DeLuxe. Auf jeden Fall sagt er nichts und reagiert auf keinerlei Ansprache. Vielleicht ist er in Wirklichkeit ein Robotor, und ich habe die richtigen Knöpfe noch nicht gefunden. Ach richtig, die Befehle. Vielleicht sollte ich die mal testen.
»Wave«, sage ich, und der Mensch neben mir fängt an zu winken. »Bravo.« Er gratuliert sich selbst - ganz in Siegerpose. Okay, das scheint also zu funktionieren.
Und äußerlich sieht er meinem Big Boss wirklich verblüffend ähnlich. Dasselbe weiße Haar, das in seinem Nacken zu einem kleinen Zöpfchenzusammengebunden ist. Ein bisschen erinnert er an Karl Lagerfeld. Ist Randy selbst etwa ein Plagiat? Nein, es muss einfach ein Modetrend reicher Fast-Rentner sein. Der Pseudo-Randy ist in einen schwarzen Anzug gekleidet und trägt eine rosa-hellblaue Fliege sowie einen Anstecker mit den MAMA.Com-Schnullern in denselben Farben.
Als wir am CCH-Eingang aus der Limousine steigen, bahnen uns die üblichen Bodyguards den Weg. Ich fühle mich wie auf dem roten Teppich in Cannes, denn ein wahres Blitzlichtgewitter geht auf uns nieder. Fernsehteams sind da, Reporter halten uns ihre Mikrofone entgegen, doch es gibt natürlich keinen Kommentar. Vielmehr winkt der Fake-Randy immer wieder in die Kameras und zeigt sich in seiner Siegerpose. Sehr gut, es scheint tatsächlich zu funktionieren.
Als wir den CCH-Saal erreichen, ist bereits laute Musik zu hören. Die Live-Band auf der Bühne spielt We Are the Champions und ähnliche Triumphballaden, während auf einer riesigen Leinwand das neue Internetportal zu sehen ist - allerdings noch wie hinter einer Nebelwand, schließlich ist es noch nicht online.
Der Moderator tobt von einem Bühnenende zum anderen und bereitet das grölende Publikum auf die Ankunft des Meisters vor: »Mister Randolph DeLuxe, meine Damen und Herren, direkt aus den Staaten eingeflogen, wird in Kürze den Startschuss für das Webportal des Jahrtausends geben.«
Bescheiden sind wir ja nicht.
Ich gehe mit »Randolph« und den Bodyguards auf die Bühne. Der Moderator redet in unglaublicher Geschwindigkeit von der Zukunft des Arbeitens, über Vereinbarkeit von Familie und Beruf, von Chancen für Mütter und Väter, kurz: Er beschreibt das Arbeiterparadies auf Erden.
»Und nun bitte ich Mister DeLuxe auf die Bühne!«
Das Publikum tobt. Randolph ist ein wahrer Popstar. Das nenne ich echtes Multitasking: sich in Deutschland als den Retter der Welt feiern lassen, während er auf den Kaiman-Inseln seine Zehen im Wasser baumeln lässt und gleichzeitig das Finanzamt betrügt.
In der Mitte der Bühne steht ein Tisch, auf dem nur ein riesigerroter Knopf zu sehen ist — wie man ihn sich an der Abschusszentrale von Atomraketen vorstellt.
»Meine Damen und Herren, in Kürze wird Mister DeLuxe persönlich mit diesem Knopf unser fantastisches Webportal starten.«
Oje, ob das in seinem Programm vorgesehen ist?
»Mum@Work geht live, es lebe Mum@Work, es lebe BetterMedia, es lebe Randolph DeLuxe.«
»Bravo«, raune ich. Siegerpose. Gut.
Dann schiebt der Moderator »Randolph« zu dem Tisch. Ob der Moderator eingeweiht ist? Diese Frage hätte ich vielleicht vorher klären sollen. Vorsichtshalber bleibe ich aber in der Nähe unseres Helden.
»Mister DeLuxe, bitte sehr«, sagt der Moderator und zeigt auf den roten Knopf. »Wenn Sie gleich diesen Knopf drücken, werden Sie Ihr Mum@Work-Portal starten, wie Sie, liebes Publikum hier im Saal, direkt hinter mir auf dem Screen verfolgen können. Für die live zugeschalteten Fernsehzuschauer heißt es jetzt, ran an den Computer, rein ins Internet - damit Sie das große Ereignis nicht verpassen. Mister DeLuxe.«
Trommelwirbel. Aber sonst passiert nichts. Der Moderator lächelt verlegen, während ich »Randolphs« Hand vorsichtig in Richtung Startknopf
Weitere Kostenlose Bücher