Mummenschanz
zufriedenzugeben.
»Du bleibst ganz ruhig in… in dem Raum da drüben sitzen, in Ordnung?«
»Ja, Frau Ogg!«
»Du bist ein guter Junge.«
Wieder sah sie zu den Geldsäcken. Geld bedeutete Probleme.
Agnes wich zurück.
André stemmte sich auf den Ellenbogen und zog einen Teil des Vorhangs von seinem Gesicht. »Meine Güte, was machst du denn hier?« fragte er.
»Ich wollte… He, was ich hier mache? Du bist doch herumgeschlichen!«
»Und du hast dich hinter dem Vorhang versteckt!« André stand auf und griff nach den Streichhölzern. »Wenn du das nächstemal eine Lampe ausbläst, denk daran, daß sie noch eine Zeit heiß bleibt.«
»Wir haben… Nachforschungen angestellt…«
Die Lampe glühte. André drehte sich um. »Wir?« wiederholte er.
Agnes nickte und sah zu Oma. Die Hexe hatte sich nicht von der Stelle gerührt, doch man mußte sich sehr konzentrieren, um sie inmitten der Schatten und Schemen zu erkennen.
André nahm die Lampe und trat vor.
Die Düsternis wogte.
»Nun?«
Agnes ging durchs Zimmer und streckte die Hand aus. Hier stand der Stuhl, da die Vase und dort… nichts.
»Aber eben war sie noch hier!«
»Ein Geist, wie?« fragte André sarkastisch.
Agnes drehte den Kopf von einer Seite zur anderen.
Wenn eine Lampe tiefer als das Gesicht der beleuchteten Person gehalten wird, kommt es zu einem seltsamen Effekt. Die Schatten entstanden dort, wo eigentlich alles hell bleiben sollte. Die Zähne schienen länger zu werden. Agnes begriff plötzlich, daß sie sich unter sehr seltsamen Umständen in einem Zimmer aufhielt, in dem sie eigentlich nichts zu suchen hatte, zusammen mit einem Mann, der jetzt nicht mehr so freundlich wirkte wie sonst.
»Ich schlage vor, daß du jetzt sofort zur Bühne zurückkehrst«, sagte André. »Das ist zweifellos das Beste für dich. Und misch dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen. Du hast dich bereits viel zu sehr mit dieser Angelegenheit beschäftigt.«
Die Furcht wich zwar aus Agnes, fand aber einen Platz, an dem sie sich in Ärger verwandeln konnte.
»So was muß ich mir nicht gefallen lassen! Vielleicht bist du der Geist!«
»Ach?« erwiderte André. »Warst du nicht davon überzeugt, daß sich Walter Plinge hinter der weißen Maske des Geistes verbirgt? Und jetzt ist er tot…«
»Nein, ist er nicht!«
Die Worte platzten aus Agnes heraus, bevor sie ihre Zunge unter Kontrolle bringen konnte. Eigentlich wollte sie nur den Spott aus Andrés Zügen vertreiben, und das gelang ihr auch. Doch sein neuer Gesichtsausdruck war keine Verbesserung.
Eine Diele knarrte.
Sie drehten sich beide um.
In der Ecke neben dem Bücherschrank ragte ein Hutständer auf. Sicher lag es an den Schatten, daß er aus diesem besonderen Blickwinkel Ähnlichkeit mit einer alten Frau hatte. Oder…
»Verdammte Dielen«, sagte Oma Wetterwachs. Sie wurde wieder sichtbar und trat in die Mitte des Zimmers.
Wie Agnes später erklärte, war Oma keineswegs unsichtbar gewesen. Sie verschmolz einfach mit der Umgebung, bis sie schließlich entschied, sich wieder der Aufmerksamkeit anderer Personen darzubieten. Sie hatte sich auf perfekte Weise im Hintergrund gehalten.
»Wie bist du hereingekommen?« fragte André. »Ich habe mich gründlich im Zimmer umgesehen!«
»Sehen ist glauben«, erwiderte Oma ruhig. »Das Problem besteht darin, daß glauben auch sehen ist, und von beidem gab’s hier in letzter Zeit zuviel. Nun, ich weiß, daß du nicht der Geist bist, also: Warum treibst du dich hier herum, an einem Ort, an dem du nichts zu suchen hast?«
»Das könnte ich dich auch fragen…«
»Mich? Ich bin eine Hexe, und ich verstehe mein Handwerk !«
»Sie… äh… kommt aus Lancre, aus meiner Heimat«, murmelte Agnes und versuchte, auf ihre Füße zu blicken.
»Ach, ist sie etwa die Hexe, die das Buch geschrieben hat?« erwiderte André. »Ich habe davon gehört…«
»Nein! Ich bin viel schlimmer als sie, verstanden?«
»Sie hat recht«, bestätigte Agnes.
André maß Oma mit einem abschätzenden Blick und schien sich zu fragen, wie seine Chancen standen. Offenbar gelangte er zu dem Schluß, daß sie ihn hastig verließen wie Ratten das sinkende Schiff.
»Ich… halte an düsteren Orten nach… Schwierigkeiten Ausschau«, sagte er.
»Tatsächlich?« entgegnete Oma scharf. »Für solche Leute gibt es einen häßlichen Namen.«
»Ja«, pflichtete ihr André bei. »Sie heißen ›Polizisten‹.«
Nanny Ogg verließ den Keller des Opernhauses und rieb sich
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