Mummenschanz
Aborte?«
»Wie bitte?«
»Ich muß doch nicht damit aufhören, oder? Es ist mir gerade gelungen, die Verstopfung zu beseitigen.«
»Ach? Oh? Tatsächlich?« Eimer schielte für ein oder zwei Sekunden. »Nun, meinetwegen. Wenn du willst, kannst du singen, während du dich um die Aborte kümmerst«, fügte er großzügig hinzu. »Und ich kürze nicht einmal deinen Lohn! Ich… erhöhe ihn sogar! Du bekommst sechs… nein, sieben glänzende Dollar!«
Walter schürzte nachdenklich die Lippen. »Herr Eimer…?«
»Ja, Walter?«
»Ich glaube, Herr Salzella hat vierzig glänzende Dollar von dir bekommen…«
Eimer wandte sich an Oma Wetterwachs. »Ist er eine Art Ungeheuer?«
»Ihr solltet euch mal anhören, was er geschrieben hat«, sagte Nanny. »Tolle Lieder, und nicht einmal auf Fremdländisch. Hier, seht euch das an… Entschuldigung…«
Sie kehrte dem Publikum den Rücken zu…
Twingtwangtwong…
Mit einem Papierbündel in der Hand drehte sie sich wieder um.
»Ich erkenne gute Musik, wenn ich sie sehe«, sagte sie, reichte Eimer das Manuskript und deutete auf einige Auszüge. »Es ist voller Kleckse und Schnörkel, siehst du?«
»Du hast dieses Werk geschrieben?« wandte sich Eimer an Walter. »Ein Werk, das erstaunlich warm ist?«
»Ja, Herr Eimer.«
»Etwa während der Arbeitszeit?«
»Dieses Lied gefällt mir besonders«, sagte Nanny. »Es heißt ›Wein nicht um mich, Gennua‹. Es ist sehr traurig. Da fällt mir ein… Ich sollte besser nachsehen, ob Frau Plinge inzwischen zu sich ge… aufgewacht ist.« Sie schlenderte fort, zupfte immer wieder an ihrem Kostüm und stieß eine faszinierte Ballerina an. »Beim Ballett kann man ganz schön ins Schwitzen kommen, was?«
»Entschuldigt bitte, es gibt da etwas, das ich kaum glauben kann«, sagte André. Er nahm Salzellas Schwert und berührte die Klinge.
»Autsch!« entfuhr es ihm.
»Scharf, nicht wahr?« fragte Agnes.
»Ja!« André saugte an seinem Daumen. »Sie hat es mit der Hand festgehalten.«
»Sie ist eine Hexe«, erwiderte Agnes.
»Aber die Klinge besteht aus Stahl! Bei Stahl versagt Hexenmagie. Das ist allgemein bekannt.«
»An deiner Stelle wäre ich nicht zu beeindruckt«, sagte Agnes verdrießlich. »Wahrscheinlich steckt irgendein Trick dahinter…«
André wandte sich an Oma. »Deine Hand ist nicht einmal zerkratzt! Wie ist… das… möglich?«
Er starrte einige Sekunden in Omas Augen. Als er sich anschließend umdrehte, wirkte er so verwirrt wie jemand, der sich nicht mehr daran erinnert, wo er einen bestimmten Gegenstand hingelegt hat.
»Hoffentlich hat er Christine nicht verletzt«, murmelte er. »Warum kümmert sich niemand um sie?«
»Weil sie immer darauf achtet, zu schreien und in Ohnmacht zu fallen, bevor etwas geschieht«, antwortete Perdita aus Agnes’ Mund.
André trat über die Bühne, und Agnes folgte ihm. Zwei Tänzerinnen knieten neben Christine.
»Es wäre schrecklich, wenn ihr etwas zugestoßen ist«, sagte André.
»Oh… ja.«
»Alle sind der Ansicht, daß sie zu den besten Hoffnungen berechtigt…«
Walter gesellte sich zu ihnen. »Ja«, sagte er. »Wir sollten sie forttragen.« Er sprach klar und deutlich.
Agnes glaubte zu spüren, wie sie den Boden unter den Füßen verlor. »Aber… du weißt doch, daß ich gesungen habe.«
»Ja… ja, natürlich«, erwiderte André verlegen. »Andererseits… dies ist die Oper, weißt du.«
Walter nahm ihre Hand.
»Aber du hast mich unterrichtet!« platzte es verzweifelt aus Agnes heraus.
»Und du bist sehr gut gewesen«, entgegnete Walter. »Ich schätze, Christine kann nie auch nur annähernd so gut werden, nicht einmal nach vielen Monaten meines Unterrichts. Wie dem auch sei, Perdita: Hast du jemals das Wort ›Starqualität‹ gehört?«
»Bedeutet es soviel wie Talent ?« fragte Agnes scharf.
»Etwas, das noch seltener ist.«
Agnes starrte ihn an. Walters Gesicht wirkte nun kontrolliert, und das Rampenlicht verlieh seinen Zügen eine gewisse Attraktivität.
Sie zog ihre Hand zurück. »Als Walter Plinge hast du mir besser gefallen.«
Agnes wandte sich ab und spürte den Blick von Oma Wetterwachs. Bestimmt lag eine Menge Spott darin.
»Äh… laßt uns Christine in Herrn Eimers Büro bringen«, schlug André vor.
Damit schien ein Bann gebrochen zu sein.
»Ja, richtig!!!« sagte der Besitzer des Opernhauses. »Und wir können Herrn Salzella auch nicht einfach so auf der Bühne liegenlassen. Äh… tragt ihn hinter die Kulissen. Was die anderen
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