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Murats Traum

Murats Traum

Titel: Murats Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabian Kaden
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aber seine Ablehnung war nachgiebiger als die des zweiten, und als ich ging, hatte ich das Gefühl, dass der Junge mir etwas sagen wollte. So lungerte ich noch eine Weile in der Tordurchfahrt herum, von oben nicht einsehbar. Ich hatte mich nicht getäuscht. Nach zehn Minuten kam er. Seltsam, dieser gestählte Körper und das Kindergesicht mit den großen, schwarzen Augen und flauschigen Wimpern. Er sprach hastig und leise. Es hätte neulich Streit gegeben mit Murat, weil er getrunken hatte, und er wäre rausgeflogen. «Geht ihm wohl nicht so gut», flü sterte der Junge. «Versuchs mal bei Jamal. Mit dem hängt er jetzt neuerdings rum.»
    «Wie heißt du?»
    «Ist doch egal.» Und schon sauste er wieder hoch.
    Ich wollte es nicht glauben. Murat bei Jamal? Was war das für ’ne kranke Ansage? Jamal war das Letzte. Er schickte kleine Mä dchen auf die Schulhöfe, ganze Rudel bekloppter Gören, die sich sonst was einbildeten, wenn sie für ihn Gras und Pillen vertickten. Bei jedem Wetter rannte er mit Basecap und Sonnenbrille durch die Gegend, lachhaft für einen groß gewachsenen Mann Ende Zwanzig, und er galt als süchtig und reizbar. Nie sah man ihn ohne Samir, der Dicke genannt. Sie betrieben zusammen eine Bar, die erst nachts aufmachte. Kaum anzunehmen, dass sie um diese Zeit schon dort waren, eine bessere Idee hatte ich jedoch nicht.
    Die Jalousie war unten, aber die Hintertür zu den Mülltonnen stand sperrangelweit auf. Ein Staubsauger jaulte. Ich steckte den Kopf nach drinnen und erschreckte die Putzfrau. Ich fragte nach Jamal. Sie wies mürrisch auf die Remise am anderen Ende des Hofes. Die drei Fenster waren vergittert und von drinnen blickdicht mit Silberfolie beklebt. Eine Klingel gab es nicht. Ich klopfte an die blechbeschlagene Holztü r.
    Der Dicke erschien, oben ohne. Sein behaarter Bauch wölbte sich stramm nach vorn wie ein Medizinball und seine keulenstarken Arme trug er abgespreizt wie ein Pinguin. Er sah verärgert aus, als hätte er jemand anderen erwartet und nur deswegen aufgemacht. Er sah mich mit hochgezogenen Brauen schweigend an.
    «Ich bin ein Freund von Murat. Ist er hier?»
    «Wer sagt das?»
    «Niemand. Ich frage nur. Es ist wichtig.»
    Hinter dem Dicken tauchte Jamal selbst auf. Ich sah ihn zum ersten Mal ohne Sonnenbrille. « Wer ist das?»
    «Oliver», rief ich. «Ein Freund von Murat. Ich muss ihn sprechen.»
    «Dann bring ihn eben rein», befahl Jamal ungeduldig und verschwand.
    Der Dicke verschloss die Tür hinter uns und führte mich in einen niedrigen, halbdunklen Raum, ziemlich neblig, es roch nach Mö se und Gras. Murat saß an die Wand gelehnt auf einer Couch, neben sich ein Mädchen mit glasigen Augen, wenn’s hochkommt, dreizehn, vierzehn. Sie trug ein bauchfreies Trägerhemdchen und eine grobmaschige Netzstrumpfhose ohne Slip, und ich sah auf Anhieb, dass die beiden völlig breit waren.
    «Was machst du hier?», fragte ich ihn.
    «Und du?» Er blinzelte mich an, als ob er Mühe hatte, mich zu scharf zu stellen. « Siehst ja schnuckelig aus.» Er hatte Ringe unter den Augen und glotzte unfroh zu mir rüber.
    «Ja, schnuckelig, was?» Jamal. «Wie ’ne Schwuchtel in Badelatschen.»
    Das Mädchen kicherte. Was hatte Murat von mir erzählt?
    «Komm mit raus» , sagte ich zu ihm. «Wir haben was zu bereden.»
    Murat nickte müde. Ich hatte den Eindruck, dass er mir sogar nach draußen gefolgt wäre – er kam bloß einfach nicht auf die Beine.
    «Na, Schwuchtel? Sag an, was ihr zu bereden habt, was kann das sein? Bist du sicher, dass ihr noch was zu bereden habt? Draußen im Hof, was? Ganz leise?»
    Die Gö re kreischte vor Lachen, als hätte Jamal den tollsten Witz gemacht, und brachte ihn damit wohl auf dumme Gedanken.
    «Was ist, Schwuchtel, willst du deine kleine Cousine lecken?»
    «Kein Bedarf», sagte ich.
    «Echt, du willst sie nicht lecken, deine kleine Schwester? Nix lecker lecken? Nix reinstecken? Das ist nicht nett. Das ist ganz schön fett ...»
    Murat hielt sich die Ohren zu, die Göre klatschte begeistert den Takt, aber Jamal fielen keine Reime mehr ein, was ihn wü tend zu machen schien. Unvermittelt brüllte er: «Verdammt, wo bleibt dieses Arschloch?»
    Von nebenan rief Samir irgendwas auf Arabisch.
    «Was ist, Murat, kommst du?» Ich hielt ihm meine Hand hin. «Lass uns gehen. Bitte.»
    Nun war ich es, den die Göre komisch fand. Sie zeigte mit dem Finger auf mich und bekam vor Lachen kaum noch Luft.
    «Schnauze, Votze» , brüllte Jamal.
    Sie verstummte

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