Murray, Paul
Lauf der Jahre immer gesagt hat,
triumphal bestätigt zu finden, nämlich, dass es nichts wahrhaft Gutes und
Reines gibt, dass das Leben von Grund auf böse ist und es deshalb keinen Sinn
hat, sich anzustrengen oder Interesse zu zeigen oder Hoffnungen zu hegen?
Irgendwas in der Richtung jedenfalls.
Geoff starrt ihn weiter an; Dennis zuckt noch einmal mit
den Achseln und verlässt das Zimmer.
Im Aufenthaltsraum sucht er sich ein stilles Plätzchen und
grinst breit, um zu zeigen, dass ihn keinerlei Schuldbewusstsein plagt. Ein
Weilchen schaut er beim Tischtennis zu, dann geht er zum Fenster und guckt
hinaus. Eben fährt ein dunkelbrauner Lieferwagen auf dem Parkplatz vor, auf dem
in Goldbuchstaben steht:
van dOren kanalarbeiten
grubenendleerung
rorreinigung
leckbehebung
sämtliche installateursarbeiten
auch Kleinstaufträge!
Der Lieferwagen hält neben den Blumenbeeten, und ein
kleiner, unscheinbarer Mann in einem schlecht sitzenden Anzug sowie eine sehr
füllige Frau mit einem Blumenhut - beide kommen ihm irgendwie bekannt vor -
steigen aus und begeben sich eilig zum Schultor. Dennis' Mund verzieht sich zu
einem wölfischen Grinsen. »Aha«, murmelt er vor sich hin. »Sieh mal einer an -
zurück vom Amazonas.«
Es kommt darauf an, den richtigen Eindruck zu erwecken,
dann ist in jeder Situation die Schlacht schon halb gewonnen, wie Pater Foley
nicht müde wird, den Jungen einzutrichtern. Egal, ob man im Abschlusszeugnis
lauter Einser stehen hat - wenn man beim Vorstellungsgespräch mit abgewetzten
Schuhen oder einer unpassenden Krawatte aufkreuzt, sind die Chancen auf eine
Anstellung gleich null. Deswegen ist Pater Foley, obwohl er sich erst am Abend
zuvor dieser Prozedur unterzogen hat, angesichts des ebenso ernsten wie
heiklen vorliegenden Falles nicht davor zurückgescheut, sich morgens nochmals
die Haare zu waschen und sie in der Viertelstunde vor der Unterredung so lange
hin und her zu frisieren, bis sie seinen Vorstellungen vollständig
entsprachen.
Und nun betrachte man das Gegenstück zu seinen Bemühungen,
den jungen Mann vor seinem Schreibtisch. Das Musterbeispiel eines Knaben, der
keinen Pfifferling darauf gibt, welchen Eindruck er erweckt. Hingefläzt,
abstoßend übergewichtig und dazu noch stumm wie ein Fisch! Gibt keinen Mucks
von sich! Pater Foley hat sich eine Zeit lang abgemüht, zu ihm »durchzudringen«;
nun richtet er sich mit seinen Bemerkungen ausschließlich an die Eltern und
lässt den Jungen außen vor. Mal sehen, wie ihm das gefällt.
»Bei einem Trauerfall unterscheidet man fünf Phasen«,
erklärt er ihnen. »Leugnung, Wut, Verhandeln, Rückzug und Akzeptanz.« Das hat
er gerade im Internet nachgelesen, klingt wirklich sehr interessant.
»Offensichtlich durchläuft Ruprecht zurzeit die Wutphase. Nun ja, das ist
vollkommen natürlich, es ist sogar ein wesentlicher Bestandteil des
Trauerprozesses. Allerdings nähern wir uns einem Punkt, an dem Ruprechts Trauer
sich negativ auf den ordnungsgemäßen Ablauf des Schulbetriebs auswirkt. Der
kommissarische Direktor und ich hoffen nun, dass wir mit vereinten Kräften
einen Weg finden, auf dem Ruprecht sozusagen eher früher als später die
Akzeptanzphase erreicht, oder zumindest einen der anderen, weniger
störintensiven Abschnitte, der es ihm ermöglicht, konstruktiv an normalen
Schulaktivitäten wie etwa dem Konzert zur 140-Jahr-Feier teilzunehmen.«
Der Vater des Jungen, ein Mann, der offenbar nicht viel
Worte macht, nickt ernst. Die Frau mit dem Hut schlägt fast lautlos die Hände
zusammen und haucht: »Ein Konzert!«
Pater Foley unterrichtet sie mit Freuden über einige
Einzelheiten der Veranstaltung. Manche der Patres neigen ja dazu, das Ganze
von oben herab zu betrachten, doch dank seiner psychologischen Studien weiß
Pater Foley, wie wichtig es ist, dass die Burschen ihre Gefühle ausdrücken.
War nicht in seinen jüngeren Jahren ein gewisser Pater Ignatius Foley dafür
bekannt, dass er sich die Gitarre umschnallte und ein paar »Hits« zur
Unterhaltung von Kindern spielte, die mit langwierigen oder tödlichen Erkrankungen
in der Klinik lagen? Wie sie ihn angestaunt hatten! Wie einen echten »Popstar«!
»Und das Anrührende daran ist«, fährt er fort, »dass mit
einem Anteil aus dem Erlös das Schwimmbecken saniert werden soll, in Erinnerung
an das tragische Schicksal von Daniel Juster.«
Die Mutter des Jungen, die manch einer durchaus als
attraktiv bezeichnen mag, gibt ein beifälliges Gurren von sich. Pater
Weitere Kostenlose Bücher