Murray, Paul
Foley
revanchiert sich mit einem onkelhaften Lächeln. »Das erschien uns als die
angemessenste Art und Weise, mit dem Konzert ein Zeichen zu setzen«, sagt er.
»Wir in Seabrook halten nichts davon, Dinge unter den Teppich zu kehren. So
können wir, die Jungen und das Lehrerkollegium gleichermaßen, Daniel wissen
lassen, dass er immer einen Platz in unseren Herzen haben wird, trotz der, wie
soll ich sagen, der, äh, Umstände seines Ablebens.«
Er streicht sich eine goldblonde Strähne aus der Stirn und
wendet sich Ruprecht zu, der ihn mit unverhülltem Hass anstarrt. Kann dieser
Lümmel wirklich ihr Sohn sein? Vielleicht ist sie ja die zweite Frau, sie wirkt
beträchtlich jünger - aber nein, nur eine Mutter kann derart vernarrt in ein
solches Ekelpaket sein. »Zwei Wörter möchte ich dir in dieser schweren Zeit
besonders ans Herz legen, Ruprecht. Das erste lautet >Liebe<. Du hast das
Glück, von vielen Menschen geliebt zu werden. Von deinem Vater und von deiner
-«, er kann nicht widerstehen, »- sehr charmanten Mutter« (ein verschmitztes,
spritziges kleines Lächeln!), »von deinem kommissarischen Direktor, von mir
selbst und der restlichen Lehrerschaft, und von deinen vielen Freunden hier am
Seabrook College. Und am allermeisten von Gott. Gott liebt dich, Ruprecht.
Gott liebt Seine ganze Schöpfung, bis hin zu den niedersten Kreaturen, und Er
hat dich immer im Blick, auch wenn du meinst, du wärst ganz allein auf der
Welt. Daniel ist hoffentlich nun bei Ihm im Himmel, und er ist glücklich dort,
glücklich und zufrieden in Gottes Liebe. Darum wollen wir nicht selbstsüchtig
sein. Mit unserem Kummer nicht die guten, ehrlichen Werke unserer Mitmenschen
trüben. Ja, wir haben einen schrecklichen Verlust erlitten. Aber wir wollen
Daniels Hinscheiden betrauern, wie es sich gehört, auf liebevolle Weise, zum
Beispiel durch die Teilnahme an dem bevorstehenden Weihnachtskonzert, und es zu
einem ganz besonderen Ereignis werden lassen, auf das er stolz wäre.«
Die Mutter des Jungen ist hingerissen, der Vater
ebenfalls. Pater Foley ist selbst einigermaßen angetan von seiner kleinen Predigt.
»Das zweite Wort«, sagt er, »lautet >Mannschaftssport<. Zur Zeit des
Römischen Reichs ...«
Danach wartet er vor dem Büro des Automators, der allein
mit Ruprechts Eltern sprechen will. Darren Boyce und Jason Rycroft kommen durch
den Flur, bleiben auf der gegenüberliegenden Seite stehen und starren ihn an.
Als seine Eltern herauskommen, begleitet er sie nach unten zum Lieferwagen.
Sie würden gern noch länger bleiben, aber Vater hat fürchterlich viel zu tun.
Auf dem Parkplatz nimmt Mutter Ruprechts Gesicht in beide Hände. »Liebster
Ruprecht, wir haben dich sehr, sehr lieb. Versprich mir, dass du das eine nie
vergisst: Was auch geschieht, Mama und Papa haben dich immer lieb.«
»Und nun keine Dummheiten mehr, Ruprecht«, sagt Vater. Er
wischt sich mit einem Papiertaschentuch über den Mund.
Ruprecht geht allein zurück in sein Zimmer. Auf sein Kopfkissen
hat jemand hübsch ordentlich eine Klobürste gelegt. Er räumt sie weg und legt
sich hin.
Mutter liebt Ruprecht. Lori liebt Skippy. Gott liebt alle.
Wenn man die Leute so reden hört, sollte man meinen, sie täten nichts anderes,
als einander zu lieben. Aber wenn man danach Ausschau hält, wenn man diese
Liebe sucht, über die alle ständig reden, dann lässt sie sich nirgends finden;
und wenn jemand Liebe von dir will, merkst du, dass du keine geben kannst, du
kannst dir das Vertrauen und die Träume ebenso wenig bewahren, wie du Wasser
auf den Armen tragen kannst. These: Liebe, wenn es sie denn überhaupt gibt,
existiert primär als ein gestaltender
Mythos und ist darin Gott wesensverwandt. Oder: Liebe ist, wie in
neueren Theorien postuliert, analog zur Schwerkraft, will heißen, was wir
schwach und vereinzelt als Liebe erleben, ist in Wirklichkeit die entrückte
Emanation einer anderen Welt, der ferne Schimmer eines Liebesuniversums, dem
kaum noch Wärme geblieben ist, bis er uns erreicht.
Nach dem Aufstehen trampelt und stampft er eine Stunde
lang auf seinem Waldhorn herum, damit er nie wieder darauf spielen muss. Musik,
Mathe, das sind Dinge, in denen er keinen Sinn mehr sieht. Sie sind zu
vollkommen, sie gehören nicht hierher. Wie hat er nur je glauben können, dass
dieses Universum eine Symphonie sein könnte, gespielt auf Superstrings, wo es
doch nach auf Scheiße gespielter Scheiße klingt.
Seit die Wahrheit über seine Herkunft an den Tag gekommen
ist,
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