Murray, Paul

vergiftet, und es regnete Granatsplitter. Sie harrten dort
am Strand aus, während ihr General versuchte, sich etwas einfallen zu lassen
...«
    Und weiter geht es mit der Schreckensgeschichte. Aus
heutiger Distanz betrachtet erscheint der blutige Ausgang unvermeidlich und die
Abenteuerlust der Kameraden, die freiwillig gute Stellungen, ein behagliches
Leben, Frauen und Kinder für einen hurrapatriotischen Traum von Ruhm und Ehre
aufgaben, entsetzlich naiv; als wäre der Krieg in ihrer Vorstellung nur eine
gesteigerte Fortsetzung ihrer Zusammenstöße auf dem Rugbyfeld gewesen und die
erhöhte Gefahr lediglich die Garantie für den zu erringenden Ruhm.
    »Aber das Schlimmste von allem war das, was hinterher geschah«,
sagt Slattery und schiebt sein Glas auf dem Tisch herum. »Sie kamen nach Hause
und wurden vergessen. Nicht bloß vergessen, sondern aus der Geschichte
verbannt. Nach dem Aufstand und dem Unabhängigkeitskrieg standen sie plötzlich
als Verräter da. Die Kämpfe, die sie durchgestanden hatten, die Schrecken, die
Strapazen, alles umsonst. Das muss wirklich ein Dolchstoß gewesen sein.« Er
sieht zu Howard hin. »Schwer zu glauben, dass so etwas Großes einfach
untergepflügt wird, als wäre es nie geschehen. Aber es geht, das ist das Tragische
daran. Zu einem furchtbaren Preis, aber es geht.«
    »Ja«, sagt Howard; ihm steigt die Hitze in die Wangen.
    »Obwohl sich manches auch ändert, denke ich ...« Der alte
Mann streicht erneut über den Stoff der Uniform. »Na, jedenfalls ist es eine
tolle Geschichte für Ihre Jungs.«
    Howard gibt einen undefinierbaren Laut von sich.
Tatsächlich hat er sich bereits entschieden, den Jungen nichts von der Uniform
zu erzählen. Sie würde ihnen nichts sagen; was wäre schon damit erreicht, wenn
er sie ihrer Gleichgültigkeit aussetzte. Slattery reagiert überrascht - und
nach Howards Gefühl sogar ein bisschen gekränkt. »Ich dachte, sie beschäftigen
sich gern mit dem Krieg ...?«
    Das hatte Howard auch gedacht; aber die jüngsten
Ereignisse haben ihm vor Augen geführt, wie falsch er die Jungen eingeschätzt
hat. Tag für Tag hört er ihr Gequake über das nun wieder auf dem Programm
stehende Konzert, sieht sie gedankenlos um den leeren Platz mitten im
Klassenzimmer herum wuseln; die Ereignisse von - was denn, vor drei Wochen? -
sind längst aus ihrem Gedächtnis geschwunden, und endlich begreift er, dass sie
schlicht nicht imstande sind, sich mit der Vergangenheit abzugeben, weder mit
ihrer eigenen noch mit der von irgendwem sonst. Sie leben in einem ständigen
Zuckerflash der Gegenwart, in der die Erinnerung Computern überlassen bleibt,
so wie das Zimmeraufräumen dem Hausmädchen aus der Dritten Welt. Wenn der
Krieg kurzzeitig ihre Fantasie gefesselt hat, dann lediglich als ein weiterer
Schauplatz von Gewalt und Blutvergießen, ohne Unterschied zu ihren DVDs und
Videospielen, den Filmclips von Autounfällen und Verstümmelungen, die sie
untereinander tauschen wie Fußballsticker. Er gibt ihnen keine Schuld daran;
der Fehler lag bei ihm.
    Der alte Mann rührt die Eiswürfel in seinem Drink um. »Ich
würde sie nicht so schnell abschreiben, Howard. Meiner Erfahrung nach erzielt
man manchmal erstaunliche Wirkungen, wenn man ihnen etwas Greifbares vorlegt,
sie sozusagen aus dem Klassenzimmer herausholt. Selbst noch so störrische
Schüler können einem da echte Überraschungen bereiten.«
    »Das haben sie schon«, sagt Howard knapp und setzt dann
hinzu: »Ich glaube einfach nicht, dass sie sich dafür interessieren, Jim.
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wofür sie sich überhaupt interessieren. Außer
dafür, vielleicht mal ins Fernsehen zu kommen.«
    »Tja, das Interesse muss man ihnen eben beibringen,
oder?«, gibt Slattery zurück. »Darum geht es doch bei dem Ganzen.«
    Howard gibt keine Antwort, fragt sich nur im Stillen, wie
der alte Mann es geschafft hat, so lange an seinen Gefühlsduseleien
festzuhalten. Nimmt er die Jungs schlicht nicht wahr, liegt es daran? Hört er
nicht, was sie reden?
    Er nimmt Slatterys Bücher mit nach Hause; dort vergleicht
er die Fotografie von Molloy in der Dokumentation über die Kompanie mit einem
Mannschaftsfoto aus einem der alten Jahrbücher der Schule, die er bei seinen
Recherchen für das Programmheft durchgegangen ist. Da ist er, grinst ihn aus
der mittleren Reihe an, die Frisur sorgsam mit Brillantine geglättet, was
seinem Gesicht einen robusten, pferdeähnlichen Ausdruck verleiht, derselbe
Mann wie auf den