Murray, Paul

Sterne sind wie Millionen
Augen. Carl tut, als spüre er nicht, wie sie ihn beobachten, er schaut ins
Feuer. F.: Aber in dem Feuer sind Hände, sie
recken sich empor, wollen heraus!!!! A.: Dann schau auch nicht ins Feuer!!!! Er saugt
an der Pfeife, versucht die Nebelwand um sich zu errichten, die ihn vor den
Toten verbirgt! Aber diesmal verbirgt der Rauch ihn nicht, zieht ihn nur noch
tiefer hinein!
    Helena, die einst Helle war, sagt der Druide, und niemand
anders als Persephone, die Göttin des Todes und der Auferstehung. Ihr gehörte
dieses ganze Land, es ist ihre Pforte dort oben auf dem Hügel.
    Ste stößt einen Seufzer aus und schaut auf seine Uhr.
    Im alten Irland war sie Brigid, die Strahlende, der
feurige Pfeil.
    In Wales war sie die Neunfache Muse Ceridwen. Sie ist
Astarte, Venus, Hekate und tausend andere Göttinnen. Sie ist der Urgrund aller
Dinge, das erhabenste Objekt der Begierde, dem kein Mann widerstehen und das
kein Mann besitzen kann, ohne der Vernichtung anheimzufallen, die Göttin, die
über uns alle herrschte, bevor ihr der Thron gestohlen wurde.
    Und plötzlich weiß Carl, warum der Tote Junge ihn hierher
gebracht hat. Er wird Carl mit sich zurücknehmen, durch die Tür! Er will
losschreien, will aufstehen und weglaufen. Aber es liegt ein Bann auf ihm, der
ihn tonnenschwer macht. Es ist der Hügel, der ihn schon einsaugt, es sind die
Hände im Feuer, die ihn niederhalten. Bald wird er hören, wie die Tür sich
öffnet, dann kommen die Schatten!
    Von der Kirche gestohlen, sagt der Druide, von kleinen
Patres in Zellen, die aus ihren Bibeln abkritzelten, nur Gold und Macht
liebten! Diebe und Pädophile, Statthalter einer Perversion! Doch sie wird
gerächt werden! Sie wird sie alle in ihrem heiligen Feuer verbrennen lassen!
    Ste springt auf. Wenn ich mir den Scheiß noch länger anhör,
friert mir der Arsch ab!, plärrt er. Ich wart so lange im Auto! Er dreht sich
um und will den Hügel wieder runtergehen - aber jetzt kommt auch der kleine
Mann auf die Füße, greift in seine Jacke -
    Da sackt Barry nach vorne. Einen Augenblick später fangen
seine Haarspitzen Feuer und verwandeln sich in Flämmchen, wie von
Geburtstagskerzen. Er gibt einen lauten Schnarchton von sich. Alle fangen an zu
lachen, selbst Ste und der kleine schielende Mann.
    »Ich glaube, da ist jemand bedient«, sagt der Druide.
    »Kann ich verstehen«, sagt Deano. »Das Gras ist echt die
Härte.«
    »Das ist kein Gras, Junge.« Der Druide lässt ein sattes
Lachen hören. »Das ist Heroin.« Er lacht weiter, und sie alle lachen auch,
lachen und lachen, jeder lacht!
    Aber Carl ist so, so traurig.
    Und dann fangt es an, das Schreien.
     
    »Ich frag mich bloß, ob auch wirklich nichts schiefgehen
kann ...«, kommt es von Jeekers aus der Kulisse.
    »Ich denke mal, es wird niemand zu Schaden kommen«, sagt
Ruprecht. »Höchstens ein paar Gebäudeteile vielleicht.«
    »O Gott«, wimmert Jeekers vor sich hin. Aber es ist zu
spät - Titch kündigt sie schon an; und jetzt marschieren sie auf die Bühne.
Die Scheinwerfer sind so hell und so heiß! Doch selbst durch sie hindurch meint
er den eisigen Blick seiner Eltern zu spüren, das gierige Glitzern in ihren
Augen, ihre gespannte Erwartung, ihn auf diesem neuen Betätigungsfeld zu
benoten; und obwohl er sie nicht sehen kann und trotz dem, was jetzt gleich
kommt, bringt er ein dünnes Lächeln zustande und schickt es in das gähnende
Dunkel.
    Vor zwei Tagen, Jeekers hockte wie üblich allein mit
seinem Mittagessen auf dem Schulhof, hat Ruprecht sich neben ihn gesetzt und
gesagt, er wolle das Quartett wieder zusammenbringen. Das hat Jeekers
einigermaßen überrascht, nach all dem, was passiert ist. Aber dann hat
Ruprecht erklärt, wieso. Er wolle
mit Hilfe des Quartetts Skippy eine Botschaft schicken. Ich weiß, es klingt
unorthodox, hat er gesagt, aber es steht ein solides wissenschaftliches
Prinzip dahinter. Und dann hat er eine Liste von Namen aus dem 19. Jahrhundert
heruntergerattert, Leute, die offenbar so was Ähnliches probiert hatten. Ihr
Fehler war, hat er gesagt, dass für sie unsere vierdimensionale Raumzeit hier war und die anderen Dimensionen dort, sie also irgendeine magische Substanz brauchten, um die
Kluft dazwischen zu überbrücken. Aber in Wirklichkeit braucht man gar keine
solche Substanz - oder vielmehr ist, laut der M-Theorie, die gewöhnliche
Materie zugleich auch die magische Substanz! Er hat
einen Moment geschwiegen und Jeekers angeschaut, mit Augen, die wie