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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 1)
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von Robert Graves, bis
er hört, dass sie unter die Dusche geht.
    Halley
und er sind seit drei Jahren zusammen, und das ist bei ihm mit seinen
achtundzwanzig Jahren die bisher längste Beziehung. Lange Zeit lief alles
seinen gemächlichen, freundschaftlichen Trott. Aber jetzt will Halley heiraten.
Sie sagt es nicht, aber er weiß es. Für sie wäre eine Heirat nur logisch. Sie
ist amerikanische Staatsbürgerin, und deshalb hängt ihr Recht, hier zu arbeiten,
vom Wohlwollen ihres Arbeitgebers ab, der jedes Jahr ihre Genehmigung
verlängern muss. Durch die Heirat mit Howard würde sie offiziell eingebürgert
und könnte leben und arbeiten, wo sie will. Doch das ist natürlich nicht der
einzige Grund, warum sie es sich wünscht. Aber das Thema spitzt sich dadurch
zu; plötzlich stellt sich die Frage: Warum nicht auf der Stelle heiraten? Und
die hängt über ihnen wie ein außerirdisches Raumschiff, das die Sonne verdeckt.
    Also,
warum nicht? Nicht, dass Howard sie nicht lieben würde. Er liebt sie, er würde
alles für sie tun, wenn es sein müsste, sogar sein Leben für sie geben; wäre
sie beispielsweise eine Prinzessin, die von einem Feuer speienden Drachen
bedroht wird, und er ein Ritter hoch zu Ross, würde er ohne zu zögern mit
seiner Lanze angreifen und dem Ungeheuer unerschrocken ins feurig wabernde Auge
blicken, auch auf die Gefahr hin, an Ort und Stelle gegrillt zu werden.
Tatsache ist aber - Tatsache ist, dass sie in einer Welt der Tatsachen leben,
und eine davon ist, dass es keine Feuer speienden Drachen gibt; es gibt nur
öde, ereignislose Tage, die sich einer wie der andere aneinanderreihen, eine
trübe Kette aus unechten Perlen, und eine Liebe, die ihn an ein Leben fesselt,
für das er sich nie bewusst entschieden hat. Wird das für immer so bleiben? Ein
graues Einerlei, das »ganz okay« ist? Erstarrt in einem Zustand, in den er
irgendwie hineingerutscht ist?
    Mit
einem Wort, alles bleibt in der Schwebe, und alles bleibt unausgesprochen, und
Halley weiß in ihrer Verwirrung immer weniger, wohin sie beide steuern und was
falsch läuft, obwohl genaugenommen eigentlich nichts falsch ist, und sie wird
wütend auf Howard, und als Folge davon hat Howard immer weniger Lust aufs
Heiraten. Wenn erst die Teller fliegen, fühlt es sich sogar an, als wären sie
schon seit Jahren verheiratet.
    Nach
dem Abendessen (aus der Mikrowelle) kommt es zu einer gewissen Entspannung: Er
sitzt lesend im Wohnzimmer, sie schaut fern. Als sie um halb elf aufsteht, um
ins Bett zu gehen, hält er ihr die Wange zum Kuss hin. Das Protokoll, das sich
in letzter Zeit entwickelt hat, sieht vor, dass derjenige, der als erster zu
Bett geht, eine halbe Stunde Schonzeit bekommt, sodass er schon eingeschlafen
sein kann, wenn der andere kommt. Wer's genau wissen will: Es ist fünfundvierzig
Tage her, dass sie zum letzten Mal Sex hatten. Nichts wurde ausdrücklich
vereinbart; sie haben sich stillschweigend darauf geeinigt, ja, es ist sogar
eins der Dinge, über die sie zurzeit nicht unterschiedlicher Meinung sind. Wenn
Howard die pornografischen Gespräche der Schüler mithört, kommt ihm der Gedanke,
wie unvorstellbar es seinem jüngeren Selbst erschienen sein muss, keinen Sex
haben zu wollen - er erinnert sich, wie er sich damals mit jeder Faser seines
Wesens (aber meist vergeblich) auf körperlichen Kontakt gestürzt hat, mit der
besinnungslosen, unaufhaltsamen Dringlichkeit eines Wildlachses, der einen
Wasserfall hochschnellt. Du hast eine Frau im Bett und
schläfst nicht mit ihr? Er hört förmlich die Enttäuschung und Verwirrung in
der Stimme seines jüngeren Selbst. Nicht, dass er mit der derzeitigen Situation
zufrieden wäre. Aber so ist es leichter, zumindest kurz- und mittelfristig.
    Oft,
wenn sie im Dunkeln nebeneinander liegen und sich beide nicht anmerken lassen,
dass sie noch wach sind, führt er im Geist lange Gespräche mit ihr, in denen er
furchtlos alles auf den Tisch legt. Manchmal enden diese imaginären Gespräche
damit, dass sie Schluss machen, in anderen wird ihnen bewusst, dass sie nicht
ohne einander leben können; in beiden Fällen fühlt es sich gut an, eine
Entscheidung zu treffen.
    Heute
Abend denkt er jedoch nicht daran. Vielmehr sitzt er in der ersten Reihe eines
Schulzimmers und starrt mit den anderen Jungen auf einen Globus, der sich mit
exquisiter, qualvoller Langsamkeit unter schlanken Fingern dreht. Und unter
seinem Blick verwandelt sich der Globus aus einer Weltkarte in eine Kristallkugel
... eine

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