Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 1)
Vom Netzwerk:
Es nützt anscheinend gar nichts,
dass er ihn immer wieder abwischt. Jedes Geräusch im Klassenzimmer wird
verstärkt: Jason Rycrofts synkopiertes Bleistifttattoo, Neville Nelligans
Schniefnase, das ansteigende, bienenähnliche Summmmmmen von Martin Anderson, Trevor
Hickey und nicht identifizierten anderen, das grässliche Gurgeln von Lionel und
über alledem im Kopf das schreckliche karzinogene KRRRRRRRTZ,
KRRRRRRRTZ, KRRRRRR RTZ -
     
     
    Was
einem Besucher im Lehrerzimmer von Seabrook als Erstes auffällt, ist das
Vorherrschen der Farbe Beige. Beige Sessel, beige Vorhänge, beige Wände; und
was nicht beige ist, ist hellbraun, braungelb, rehbraun oder gelb. War Beige
nicht bei den Griechen oder irgendeinem anderen Volk die Farbe des Todes?
Howard ist sich dessen ziemlich sicher; oder wenn nicht, dann sollte sie es
sein.
    Drei
Jahre sind vergangen, seit er sich noch zutreffend als Besucher im
Lehrerzimmer bezeichnen konnte, aber dass er hier ist, inmitten dieser
Schreckgestalten oder Witzfiguren - dieser Larven, dieser Karikaturen, die
jetzt um ihn herumwandeln, guten Morgen sagen, Tee machen, so tun, als wären
sie normale Menschen -, erscheint ihm ab und zu immer noch als surreal. Noch
lange hat er von ihnen erwartet, dass sie ihm eine Hausaufgabe geben, und war
unangenehm überrascht, wenn sie ihm stattdessen aus ihrem Leben erzählten. Doch
er gewöhnt sich von Tag zu Tag mehr daran, und das ist ihm noch unangenehmer.
    Bevor
er angefangen hat zu unterrichten, hätte er sich nie träumen lassen, wie sehr
das Lehrerzimmer der übrigen Schule gleicht. Hier herrscht dieselbe
Cliquenwirtschaft wie unter den Schülern, dasselbe Revierverhalten: Dieser
Diwan gehört Miss Davy, Ms. Ni Riain und der hexengesichtigen Deutschlehrerin,
dieser Tisch Mr. O Dälaigh und seinen gälisch sprechenden Kumpels; die hohen
Stühle am Fenster sind für Miss Birchall und Miss McSorley reserviert, die
blaustrümpfigen alten Jungfern, die momentan in die Niederungen einer
Frauenzeitschrift vertieft sind. Der Himmel steh dir bei, wenn du jemand
anderes Tasse benutzt oder aus Versehen einen Joghurt aus dem Kühlschrank
nimmst, der dir nicht gehört.
    Ein
ansehnlicher Teil des Lehrerkollegiums besteht aus Ehemaligen. Man verfolgt
die Politik, wo immer möglich frühere Schüler zu beschäftigen, auch auf Kosten
fähigerer Bewerber, denn man will »das Schulethos« aufrechterhalten, was immer
das sein mag. Den Schülern wird dadurch übel mitgespielt, findet Howard, doch
da eben dies der Grund ist, warum er den Job bekommen hat, beklagt er sich
nicht. Für manche Lehrer ist Seabrook die einzige Welt, die sie kennen; die
weiblichen Lehrkräfte richten nur wenig aus gegen die Männerclubatmosphäre, ja
regelrechte Infantilität, die dadurch entsteht.
    Apropos
weibliche Lehrkräfte. Auch hier verfolgt man eine stringente Politik. Die
Paraclete Fathers stehen der Weiblichkeit mit einem gewissen Unbehagen
gegenüber. Obwohl der Orden ihren wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen
Leben und generell zur Fortentwicklung der Spezies durchaus anerkennt, hätte
er nichts dagegen, wenn das schönere Geschlecht dieses segensreiche Wirken
anderswo entfalten würde; das Bestehen einer Mädchenschule unmittelbar nebenan
wird vom Orden seit Langem als besonders grausame Ironie des Schicksals
beklagt. Da der Beruf nun einmal überwiegend von Frauen ausgeübt wird, ist ein
gewisser Anteil von Frauen am Kollegium natürlich auch in Seabrook
unvermeidlich; nur durch ein konsequentes Auswahlverfahren konnte Pater
Furlong, der Rektor, die diesem Umstand innewohnenden Gefahren mildern: Er hat
einen Stab von Lehrerinnen zusammengestellt, die selbst für einen
Vierzehnjährigen nur schwer als geschlechtliche Wesen erkennbar sind. Die
meisten sind schon recht hoch in den Fünfzigern, und es steht dahin, ob diese
Frauen in ihren besten Jahren - falls sie überhaupt beste Jahre hatten - irgendwelche
Herzen höher schlagen ließen.
    Das
Fehlen jeglicher Augenweide im Lehrerzimmer trägt nicht unbedingt zur
Aufhellung der Atmosphäre bei, die an einem regnerischen Morgen, nach einem
Streit mit der wichtigsten Bezugsperson, außerordentlich lethargisch oder
auch, warum nicht, tödlich erscheinen kann. Ehrgeizige Lehrkräfte streben nach
der Dekanswürde - jeder Jahrgang hat seinen eigenen Dekan, und jeder Dekan hat
sein eigenes Büro; die Insassen des Lehrerzimmers sind die mittleren Ränge, die
zwanzig Jahre lang dasselbe machen, nur darauf bedacht, sich über die Zeit

Weitere Kostenlose Bücher