Murray,Paul
zusammen mit Ms. Twanky
(Wirtschaft) und Pater Laughton, dem Musiklehrer. Skippy setzt sich auf seinen
Platz und sieht, dass Morgan Bellamy, der normalerweise neben ihm sitzt, heute
fehlt. Warum erscheint ihm das als schlechtes Omen?
»Wem
gehört die Welt?«, fragt Bruder Jonas. Er hat eine Stimme, die weich und
dunkel und rau ist wie die Ballen an den Pfoten eines Hundes, und seine Sätze
steigen und fallen tropisch, wie Musik: schwer zu verstehen und leicht
lächerlich zu machen. »Wem hat Gott die Welt versprochen?«
Keine
Antwort; das summende Gemurmel geht weiter, aber in dem Moment, in dem der
Bruder sich umdreht und mit schrill quietschender Kreide über die Tafel fährt,
springen alle hinter ihren Tischen auf und fangen an, herumzuhüpfen und mit den
Armen zu rudern. Das ist eine neue Nummer - eine Art Regentanz, ausgeführt in
absoluter Stille, an dessen Ende man sich, während Bruder Jonas sich wieder
umzudrehen beginnt, schnell auf den Stuhl eines anderen setzt, sodass er erneut
dreißig ernsten, aufmerksamen Gesichtern gegenübersteht, die geduldig seiner
Worte harren, nur dass jeder an einer anderen Stelle sitzt als zuvor. Die
Kreide kratzt und quietscht. Körper springen und wirbeln um Skippy herum. Er
selbst bleibt jedoch, wo er ist. Plötzlich ist er sich sicher, dass
Herumspringen jetzt nicht gut für ihn wäre. Schon vom Zuschauen dreht sich ihm
der Magen um.
Jetzt
ist der Bruder mit dem Schreiben fertig, und alle suchen sich hektisch einen
Platz.
»Juster!«
Lionel Bollard, 65 Kilo Keratin und Skibräune, versucht, ihn von seinem Stuhl
zu schieben. »Juster! Weg da!«
Skippy
lässt sich nicht vertreiben. Bruder Jonas wendet sich wieder der Klasse zu. Er
setzt zum Sprechen an, dann hält er inne, weil er merkt, dass etwas nicht
stimmt, aber nicht genau weiß, was. Lionel hat sich rasch auf einen Stuhl
rechts hinter Skippy gesetzt; Skippy spürt seinen Blick auf seinem Rücken.
»Die
Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen«, deklamiert Bruder Jonas und zeigt
auf die Worte, die in einer abschüssigen Linie an der Tafel stehen, eine bergab
ziehende Karawane von Buchstaben. »Wir meinen vielleicht, die Welt gehöre den
Kaufleuten, die sie mit ihrem Wohlstand kaufen können. Oder den Politikern
und den Richtern, die über die Schicksale von Menschen entscheiden. Aber Jesus
sagt uns, dass am Ende ...«
»Danieeeel.. .«, fängt Lionel leise zu singen an. »DANieeeel...«
Skippy
ignoriert ihn. Aggressive Nervensägen muss man ignorieren, dann wird es ihnen
langweilig, und sie lassen einen in Ruhe. Aber das Problem ist, dass es ihnen
in der Schule nicht langweilig wird, weil alles andere, was man machen könnte,
noch langweiliger ist. Die Kreide quietscht wieder über die Tafel, und die
Jungen springen auf und hampeln wie besessen herum. Skippy dreht sich der
Kopf. Lichter gehen an den Rändern seines Gesichtsfelds an und aus. Jetzt ist
Lionel direkt neben ihm. »Daniel«, flüstert er, so leise, dass
man es kaum hört, als geschähe es nur in seiner Einbildung. »Daniel...«
Seine
Augenlider sind so schwer, aber er weiß, wenn er sie schließt, gerät er in
diese Strudel, von denen ihm noch übler wird.
»Wir
müssen uns also fragen: Was bedeutet es, sanftmütig zu sein? Jesus sagt uns,
wer immer uns auf die rechte Wange schlägt, dem sollen wir auch die andere
hinhalten. Der Sanftmütige - ja, Dennis?«
»Ja,
ich hab mich gerade gefragt... wie groß ist denn eine Seele, ungefähr? Ich
stelle sie mir größer als eine Kontaktlinse, aber kleiner als ein Golfball vor,
ist das ungefähr richtig?«
»Die
Seele hat kein Gewicht und keine Größe. Sie ist eine körperlose Manifestation
des Ewigen und ein kostbares Geschenk des Allmächtigen Vaters. Aber jetzt
schlagt bitte eure Bücher auf Seite siebenunddreißig auf - bin ich in meinem
Leben sanftmütig?«
»Daniel
... ich hab ein Geschenk für dich, Daniel ...« Lionel fängt an, Schleim aus dem
Tiefen seines Rachens hochzuhusten und damit zu gurgeln.
»Bin
ich in meinem Leben sanftmütig? Höre ich auf meine Lehrer, meine Eltern, meine
spirituellen Betreuer? Bin ich ein - Dennis, zielt deine Frage darauf ab, wie
man sanftmütiger werden kann?«
»Könnte
man sagen, dass Jesus ein Zombie war? Ich meine, er ist doch von den Toten
zurückgekommen, stimmt's? Also, könnte man rein fachlich gesehen doch sagen,
dass er ein Zombie war? Ich meine, wäre das nicht der richtige Fachausdruck?«
Schweiß
bricht in Wellen auf Skippys Zombiehaut aus.
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