Murray,Paul
Wellenoszillator ging es nicht ohne etliche Kinderkrankheiten ab;
inzwischen ist Ruprecht jedoch überzeugt, sie endlich allesamt ausgemerzt zu
haben. Er nimmt den VDWO - ein unscheinbares rechteckiges Kistchen etwa von der
Größe einer mittleren Pralinenschachtel - von der Werkbank, schließt ihn
vorsichtig an die Steckdose an und tritt zurück. Nichts explodiert oder gerät
in Brand. Gut. Er schaltet ihn ein. Ein Rotlicht geht an, und man vernimmt ein
kompetent wirkendes Summen. Ruprecht setzt sich auf einen Stuhl und nimmt sein
Horn aus dem Kasten. Er hält einen Moment inne, bevor er, den Blick auf die Tür
gerichtet, beginnt. Normalerweise hat er gern Skippy bei den Probeläufen
dabei, doch der ist nach der Geschichtsstunde verschwunden und hat auf keine
von Ruprechts SMS geantwortet. Aber wenn er partout das wissenschaftliche
Ereignis des Jahrhunderts verpassen will, ist das seine Sache.
Heute
spielt er eines seiner Lieblingsstücke, den ersten Satz von Mozarts Konzert für
Horn. Beim Spielen stellt sich Ruprecht zwei elegante Wesen in der Tiefe des
Universums vor, die das Buch weglegen, das sie gerade lesen, und beseligt
lächeln, als die wunderschöne Musik aus ihrem futuristischen Radio ertönt; der
eine sieht den anderen mit »Sollen wir?«-Miene an, dann springen sie in ihr
Raumschiff - Schnitt auf New York, ein Podium, auf dem die höflichen
Außerirdischen und der unternehmungslustige junge Mann, der sie hergeholt hat,
vor der gesamten Weltöff -
Das
atmosphärische Kreischen ist so unglaublich laut, dass Ruprecht buchstäblich
vom Stuhl fällt. Einen Moment lang bleibt er liegen, von der schieren Gewalt
des Lärms festgenagelt, dann kriecht er mühsam - er muss sich gleichzeitig die
Ohren zuhalten - zum Oszillator, aus dem jetzt eine deutsche Stimme ertönt,
die mit derselben irrsinnigen Lautstärke etwas von einer Bockwurst sagt. Dann
fällt gnädigerweise der Strom aus.
Stille:
Ruprecht liegt keuchend auf dem Boden, zusammengerollt wie ein Fötus in der
Dunkelheit. Im nächsten Moment geht das Licht wieder an, zusammen mit dem
Fernseher, den Computern und allen anderen Geräten im Raum - bis auf den
Oszillator, der jetzt schuldbewusst vor sich hin qualmt. Ruprecht steht auf und
beugt sich darüber, um ihn zu untersuchen, dann lässt er ihn mit einem
Aufschrei fallen und leckt sich die verbrannten Finger. Frust überkommt ihn.
Was ist daran nicht in Ordnung? Warum funktioniert das Ding nicht? Nutzlos, es
ist alles nutzlos - oder besser gesagt, er ist nutzlos -, dumm, nutzlos
und stumpfsinnig, also warum es überhaupt versuchen? Er kickt den Van-Doren-Wellenoszillator
durch den Raum, bis das noch schwelende Ding am Sockel des Protectron 3000 zur
Ruhe kommt. Ruprecht lässt sich verzweifelt auf seinen Stuhl fallen.
»Manchmal
sehen wir die Lösung deshalb nicht, weil wir uns zu eingehend mit der Frage
befassen«, sagt eine Stimme.
Ruprecht
blickt erschrocken auf. Im Fernseher ist ein vertrautes Gesicht erschienen -
braun und verhutzelt wie eine Nuss, mit ganz ungewöhnlich opalisierenden Augen,
deren Iris zu glitzern scheinen, als führten sie irgendeine labyrinthische
Berechnung durch.
»Die
ganze Zeit, so erkannte ich, hatte mich die Komplexität des Problems von dem
abgelenkt, was dahinter stand«, sagt das Gesicht. »Durch das Hinzukommen einer
weiteren Dimension wird alles wieder klar. Damit werden wir vor eine Realität
gestellt, die zugleich einfach und von einer fast unglaublichen Schönheit ist.«
»Heilige
Scheiße«, entfährt es Ruprecht.
Eine
fast unglaubliche Schönheit. Es tanzt hin und her und glitzert wie ein
entlaufener Stern durch das triste Herbstgrau. Skippy kann sich nicht
losreißen, auch dann nicht, als von draußen anschwellende Trampel-, Stampf-
und Stöhngeräusche zu hören sind, so als käme ein übergewichtiger Mensch immer
zwei Stufen auf einmal die Treppe herauf, bis schließlich Ruprecht schweißüberströmt
hereinrumpelt und nahezu unverständlich »Multiversum« ruft, bevor er registriert,
was Skippy macht. »Mein Fernrohr«, schreit er.
»Tut
mir leid -«
»Das
darf nicht verstellt werden.« Ruprecht schiebt ihn weg und packt eifersüchtig
den Tubus.
»Ich
hab gedacht, ich seh ein UFO«, sagt Skippy.
»Es
ist ja nicht mal auf den Himmel gerichtet«, schimpft Ruprecht. Zur Sicherheit
schaut er durchs Okular; am anderen Ende ist nichts zu sehen, nur ein Mädchen
mit einer Frisbeescheibe im Schulhof von St. Brigid's nebenan. »Egal« - er
zieht sich
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