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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 1)
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kalt
wird«, sagt der Ältere kichernd. »Das werdet ihr Jungspunde irgendwann auch
noch zu spüren bekommen.« Er schaut über die Terrasse und in den Nachthimmel.
»Kalt hier draußen.« Er reibt sich die Hände. »Vielleicht auch nur das Alter.
Wie auch immer, ich überlasse das Feld euch jungen Hengsten. Weitermachen,
meine Herren ...«
    Er
schlendert davon, und sein unmelodisches Pfeifen geht im Verkehrslärm unter.
    »Ich
will einfach nicht so werden wie der«, sagt Howard, als er außer
Sicht ist. »Fünfunddreißig Jahre Arbeit, und was hat er vorzuweisen? Kollegen,
für die er Luft ist, Schüler, die sich über ihn lustig machen, eine Frau, die
jeden Tag Essen macht, damit er um Gottes willen nicht mal ein Sandwich im Pub
zu sich nimmt. Und immer und immer wieder dasselbe unterrichten, König Lear und Der nicht
genommene Weg ...«
    »Ihm
scheint das nichts auszumachen«, sagt Farley. »Ich würde sogar drauf wetten,
dass er immer noch feuchte Augen kriegt, wenn er Der nicht
genommene Weg... liest.«
    »Aber
ich sag dir was: Eines schönen Tages sind wir tot.«
    Farley
lacht. »Howard, du bist der einzige Mensch aus meinem Bekanntenkreis, der
direkt nach dem Verlust seiner Jungfräulichkeit in die Midlife-Crisis gestürzt
ist.«
    »Mhm.«
    Die
Tür geht erneut auf; Howard hört von drinnen Toms laute Bierstimme. Zwei junge
Frauen von der Bausparkasse um die Ecke sind auf die Terrasse gekommen und
zünden sich Zigaretten an. Beiläufig mustern sie Howard und Farley. »Hallo«,
sagt Farley. Sie lächeln bibbernd. Er geht hinüber, um eine Zigarette zu
schnorren.
    »Falls
es dir ein Trost ist, Howard«, sagt er, als er wieder da ist, »was du über den
fehlenden Erzählbogen, den fehlenden Überbau gesagt hast - darüber, dass sich
das Leben so brüchig anfühlt: Aus wissenschaftlicher Sicht ist das eine der
ganz großen Fragen unserer Zeit.«
    Howard
trinkt vorsichtig einen Schluck Bier.
    »Es
geht darum, Makro und Mikro in Einklang zu bringen. Weißt du, es gibt zwei
große Theorien darüber, wie das Universum funktioniert. Auf der einen Seite haben
wir die quantenmechanische Erklärung - das sogenannte Standardmodell -, die
besagt, dass alles aus sehr kleinen Partikeln - Elementarteilchen - besteht. Es
gibt Hunderte verschiedener Arten von Partikeln, alles sehr verzweifelt,
bizarr und disparat - brüchig, wie du sagst. Das andere Modell ist Einsteins
relativistische Erklärung, die sehr geometrisch und elegant ist und sich mit
dem Universum im großen Maßstab befasst. Licht und Gravitation werden durch
Störungen in der Raumzeit hervorgerufen, alles unterliegt diesen einfachen
Gesetzen - mit einem Wort, hier haben wir es überhaupt nur mit einem Überbau zu tun.«
    Er
hält inne, um an seiner Zigarette zu ziehen, und entlässt einen mächtigen
Rauchstrahl.
    »Das
Dumme ist: Obwohl nach unserem heutigen Wissensstand beide Theorien richtig
sind, funktioniert keine von beiden für sich allein. Die Raumkrümmungstheorie
wird problematisch, wenn sie es mit subatomaren Teilchen zu tun bekommt. Das
Standardmodell ist zu chaotisch und konfus, um uns zu den großen, eleganten
Symmetrien der Raumzeit zu fuhren. Keines der beiden Systeme ist also
vollständig, und wenn man beide zugleich verwenden muss, etwa zur Beschreibung
des Urknalls, passen sie nicht zusammen. Das ist genau das, wovon du sprichst:
Auf Alltagsniveau ist es schwierig, irgendwelche Beweise für einen Erzählbogen
oder einen Sinn in deinem Leben zu finden, doch wenn du versuchst, deinem Leben
einen Sinn zu geben - also zum Beispiel einem Prinzip, einer Mission,
einem Ideal gemäß zu leben dann verbiegst du unweigerlich die Details. Die
kleinen Dinge arbeiten ständig dagegen und springen an falsche Stellen.« Wieder
ein Zug an der Zigarette und perlgrauer Rauch im Dämmerlicht. »Alle paar Jahre
tritt irgendein Wissenschaftler mit einer grandiosen umfassenden Theorie auf
den Plan, die angeblich alles unter einen Hut bringt. Stringtheorie, Supergravitation.
Die neueste ist die M-Theorie. Aber bei näherem Hinsehen fallen sie alle in
sich zusammen.«
    Howard
sieht ihn ausdruckslos an. »Das ist aber nicht sehr tröstlich, Farley.«
    »Ich
weiß.« Farley seufzt und zieht ein letztes Mal an seiner Zigarette, lässt sie
fallen und tritt sie aus. »Hör mal, wenn ich dir was verrate, können wir dann
wieder reingehen?«
    »Was
willst du mir denn verraten?«
    »Im
Ernst, ich weiß nicht, ob ich es dir sagen sollte, aber ich bekomme wirklich
Frostbeulen

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