Murray,Paul
schon ein richtiges Ekel sein, aber ich würde mir nichts, was er sagt, zu
Herzen nehmen«, sagt Howard. Der Junge reagiert nicht. Er macht auf Howard,
ehrlich gesagt, nicht den Eindruck, dass er sein Interesse zu schätzen weiß -
aber Kids verstecken ihre Verletzlichkeit oft hinter solchem Verhalten,
erinnert er sich, und man muss ihnen Raum geben, warten können, bis sie von
selbst kommen. »Und wie geht's sonst so? Wie kommst du zurecht?«
»Gut.«
Juster wirkt auf einmal argwöhnisch, als wollte Howard ihn aushorchen.
»Alles
okay mit den Schularbeiten? Findest du das Jahr nicht zu schwierig?« Der Junge
schüttelt den Kopf. »Und zu Hause alles in Ordnung? Deinen Eltern geht's gut?«
Er nickt. Howard überlegt, was er ihn noch fragen könnte. »Und das Schwimmen?
Da bist du doch so gut, wie man hört.« Der Junge nickt erneut, und seine blasse
Stirn ist vor Angst zerfurcht, als spiele er mit dem Teufel Schach um seine
Seele. Howard reißt allmählich der Geduldsfaden. Das ist ja wie Mäusemelken.
Trotzdem sollte er noch eine Minute investieren, nur für den Fall, dass Greg
ihn danach fragt. »Ich hab gestern mit eurem Schwimmtrainer geredet«, sagt er.
»Er hat mir ein paar wirklich -«
Aber
die Worte bleiben ihm im Halse stecken, als ihn ein Lächeln anstrahlt, so
plötzlich und hell und lähmend wie ein Gefängnissuchscheinwerfer ... Miss
Mclntyre ist neben ihnen aufgetaucht; das Lächeln gilt offenkundig ihm. Er
hört sich mit ihr sprechen, ohne zu wissen, was er sagt. Mein Gott, diese
Augen! In sie zu schauen ist schon, als würde man geküsst - oder nein, als
würde man wie durch Zauberei in eine andere Welt entrückt, in der man zu zweit
allein ist und der Rest des Universums nicht mehr als eine Talmikulisse, die
sich in einem langsamen Walzer um einen dreht -
Ȁh,
Sir?« Howard wird durch eine leise Stimme, die an ihm zupft, in die
Wirklichkeit zurückgeholt. Er dreht sich um und schaut ihren Besitzer an, als
hätte er ihn noch nie gesehen.
»Oh -
Entschuldigung!« Miss Mclntyre hebt die Hand an den Mund. »Ich wusste nicht,
dass ihr Jungs mitten in ...«
»Nein,
nein, schon gut«, beruhigt er sie hastig und wendet sich dann wieder Juster zu.
»Daniel, du musst jetzt sicher in die nächste Stunde.«
»Es
ist Mittagspause.«
»Na
dann eben zum Mittagessen. Wir können das später fertig besprechen.«
»Ja«,
sagt Juster zweifelnd.
»Gut
so«, sagt Howard. »Also dann, ab mit dir.« Juster stapft gehorsam davon. »Wir
holen das die Tage nach«, ruft Howard ihm nach. »Und unterhalten uns richtig
ausführlich, okay?« Er dreht sich wieder um und sonnt sich im reizenden Licht
von Aurelie Mclntyre.
»Tut
mir leid«, wiederholt sie aufgeräumt. »Ich hab ihn nicht gesehen, sonst hätte
ich euch nicht unterbrochen.«
»Nein,
nein, keine Sorge, es war nichts Wichtiges«, versichert ihr Howard. »Er ist
gestern ein bisschen mit Jerome aneinandergeraten. Greg hat mich gebeten, mit
ihm zu reden, um zu hören, ob alles in Ordnung ist.«
»Ich
glaube, er ist bei mir im Geografieunterricht«, sagt sie, und dann: »Er ist so klein!«
»Normalerweise
würden wir ihn zum Beratungslehrer schicken, aber Greg meinte, ihm wäre es
lieber, wenn jemand Jüngerer mit ihm spricht«, erläutert Howard. »Jemand, zu
dem er Vertrauen haben kann.«
Sie
denkt ernst über das Gehörte nach, oder tut jedenfalls so: Viele ihrer Gesten,
das ist ihm aufgefallen, haben diesen verwirrenden Beigeschmack von Unernst,
von Gekünsteltheit, als hätte sie sie zu ihrem eigenen Vergnügen irgendeiner
Sitcom entnommen. Wie konnte man zur echten Aurelie vordringen?
»Ach,
übrigens, das wollte ich Ihnen sagen -«, er tätschelt ihr den Arm, »- ich habe
Ihren Rat befolgt und mir das Buch von Robert Graves besorgt. Ich hab gerade
meinen Schülern daraus vorgelesen. Sie hatten recht, die Jungs waren hin und
weg.«
»Hab
ich Ihnen doch gesagt.« Sie lächelt.
»Dadurch
bekommt der Krieg eine ganz neue Dimension, wissen Sie, wenn man jemandem
zuhört, der mittendrin war im Getümmel. Die haben sich da wirklich reinziehen
lassen.«
»Vielleicht
erinnert sie das an die Schule«, mutmaßt sie. »Hat nicht mal jemand die
Schützengräben als neunundneunzig Prozent Langeweile und ein Prozent Horror
bezeichnet?«
»Also,
Langeweile, ich weiß nicht. Mein Gott, dieses Chaos, die Brutalität. Und er
schildert es so lebendig. Es würde mich definitiv interessieren, seine Lyrik zu
lesen, und sei es nur, um zu sehen, wie er den Sprung von der
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