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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Schal waren die Tiere und Gewächse des Meeres eingewebt: Algen, Seepferdchen, fliegende Fische; und genau in der Mitte schillerte, kupferrot oder hellgolden im wechselnden Licht, ein einziger großer Seestern. Behutsam half mir Gaetano, das Tuch um die Schultern zu legen, deutete lächelnd auf einen vergoldeten Spiegel, der neben der Tür hing.
    »Nun?«, fragte er.
    Ich blickte mich an, und ich spürte mein Herz vor Aufregung klopfen. Das Tuch lag auf meinen Schultern, ein gewichtloser, wärmender Hauch, glühte kastanienbraun, in der Farbe meiner Haare. Doch als ich die Hand unter den Seestern hielt, war es, als bewegte sich dieser unmerklich im Auf und Ab meiner Atemzüge, und meine Hand schimmerte grün, als hätte ich sie in klares Wasser getaucht.
    »Es ist Muschelseide«, sagte Gaetano zu den Gästen, die das einzigartige Gewebe bewunderten. »Der Schal kommt aus Sardinien, wo noch einige Weberinnen diese uralte Kunst beherrschen. Klassiker wie Aristoteles und Tertullian beschreiben bereits in ihren Werken, wie sich die schönen Frauen der Antike in Muschelseide kleideten. Aber ich will hier nicht die Rolle des Gelehrten spielen, der ich sowieso nicht gewachsen bin! Genießen wir also das Fest und feiern wir Cecilias Geburtstag.«
    Daraufhin nahm er meine Hand und wandte sich an seinen Begleiter, der bescheiden im Hintergrund wartete.
    » Cecilia, darf ich dir meinen Freund Saburo Araki vorstellen? Ich habe ihn zu dem Fest mitgenommen, sonst hätte er den Abend ganz allein in seiner Kabine verbracht!«
    Lächelnd gab ich dem Fremden die Hand. Er nahm sie kurz, eine flüchtige Berührung, wobei er sich tiefer verbeugte, als bei uns Sitte war. Dabei entdeckte ich an ihm keine Spur von Befangenheit oder Steifheit. Es war etwas an ihm, für das ich schwer eine Bezeichnung finden konnte, ein Gefühl, ihm bereits begegnet zu sein, was natürlich Einbildung war, denn ich sah ihn gewiss zum ersten Mal. Er war etwas kleiner als Gaetano, kräftiger gebaut. Die Sonne, das Alter und die Müdigkeit hatten sein Gesicht noch nicht gezeichnet. Die Haut war glatt, die braunen Augen blickten ausnehmend klar. Im Schnitt dieser Augen lag etwas eigenartig Melancholisches, und seine Brauen vermittelten den Eindruck heiterer Ruhe. Doch bevor wir dazu kamen, ein paar Worte zu wechseln, trat meine Mutter, liebenswürdig lächelnd, hinzu. Der Gast war ihr bereits vorgestellt worden. Sie hieß den Kellner Champagner bringen. Die Musiker spielten auf. Der erklingende Walzer von Chopin ließ mein Herz höher schlagen. Gaetano und ich tauschten einen lachenden Blick.
    Er führte mich auf die Tanzfläche. Seine Hand umfasste meine Taille fest und sanft. Mir war, als ob sich unsere Füße mit traumhafter Leichtigkeit bewegten. Jeder Schritt, jede Drehung waren perfekt im Gleichklang. Ich fühlte mich hinweggetragen von den Klängen des Walzers; die Paare, die gleichzeitig tanzten, glitten in einem seltsamen Farbenstrudel vorbei. Es war ein Augenblick in meinem Leben, der ewig wiederkehren würde, unverändert und wunderbar. Ja, an diesem Abend war ich Prinzessin; die Schönheit und das Leben der ganzen Welt vereinten sich hier. Alles glänzte, alles strahlte. Gaetanos lächelndes Gesicht schwebte über mir, es war eine Wärme in seinen Augen und ein Schmerz, den ich nicht deuten konnte, denn er schien mit tieferen Dingen vermischt. Mit der Musik trat ein Rauschen an unsere Ohren, wie Meereswogen, die aus der Ewigkeit kamen und in die Zukunft brandeten. Die langsamen Wellen des Schicksals trugen unser Leben davon, einer Zukunft entgegen, die unbekannt und dunkel war. Ach, wer hätte glauben können, dass wir traurig waren? Doch wir waren Geschwister, vom selben Fleisch und Blut und auch in dem Geist, in dem die tiefen Gefühle zu Hause sind. Plötzlich hatte ich aus irgendeinem Grund ganz furchtbare Angst. Um dieser Angst zu entgehen, klammerte ich mich an die mechanisch arbeitende Bewusstheit, die mich wieder mit mir selbst vereinte.
    »Wer ist der junge Herr, den du eingeladen hast?«
    »Saburo? Er ist Erster Leutnant auf dem Zerstörer Sakaki , der uns von Port Suez aus Geleit gab. Sein Bruder Takeo leitet das Bordlazarett auf der Matsu . Saburo und ich teilen nicht nur die gleichen Pflichten und Sorgen, sondern auch die gleichen Gedanken. Das ist es wohl, warum wir Freunde wurden.«
    »Dann ist er also Japaner?«
    »Ja. Seine Familie bekleidete in Japan eine ähnliche Stellung wie die unsrige hier. Saburos Vorfahren gehörten zum

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